Popstars-Karussell dreht sich ohne Vanessa

Ob der goldene Ring am schönen Brunnen in Nürnberg Vanessa Glück bringt? Die neue Popstars-Staffel beginnt jedenfalls ohne sie.
Ob der goldene Ring am schönen Brunnen in Nürnberg Vanessa Glück bringt? Die neue Popstars-Staffel beginnt jedenfalls ohne sie. | Foto: Meistring2010/08/vanessa_meisinger_schoner_brunnen_nurnberg_meistring_nz-411x5481.jpg

LAUF/NÜRNBERG — Auf einen Anruf wartet sie schon lange nicht mehr. Dabei hat ihr ihr Manager extra ein Handy besorgt, damit sie jederzeit erreichbar ist. Jetzt merkt sie nicht einmal, wenn der Akku seit Tagen leer ist. Es ist ihr gleich, ob der Manager sie erreichen will. Dabei ist Vanessa Meisinger aus Lauf ein Popstar. Denn im letzten Jahr hat sie die Musikcastingshow „Popstars“ gewonnen.

Doch schon kurz nach dem Sieg ist es wieder ruhig geworden um sie und ihre Band „Some & Any“. Nur 100 Tage dauerte ihre Popstar-Karriere. Jetzt ist sie wieder Vanessa Meisinger, ein 19-jähriger Teenager aus Lauf.

Aus der aufgeweckten Vanessa machten die Macher der Show die Hälfte des Casting-Duos „Some & Any“. Den Bandnamen durften sich Vanessa und ihr Gesangspartner Leo nicht aussuchen, die Songs nicht, das Outfit nicht und die Termine nicht. „Man gewöhnt sich daran“, sagt Vanessa rückblickend. Sie hat zugelassen, dass aus der Schülerin eine massentaugliches Produkt gemacht wurde.

Sie akzeptiert, dass sich die Masse dennoch nicht für ihre Lieder interessiert – und auch nicht für sie. Die erste Single schafft es nur auf Platz 16, das erste Album auf Platz 47. Keine der hochgeputschten Casting-Bands ist je so schlecht gestartet wie „Some & Any“. Einmal aus dem beschaulichen Lauf ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und zurück in weniger als einem halben Jahr. „War schon echt schön“, sagt Vanessa mit viel Wehmut in der Stimme – einer Stimme, die kaum noch jemand hören will.

Wegen ihrer Stimme, vielleicht aber auch wegen ihres Aussehens ist sie Popstar geworden. Die langen schlanken Beine unter dem Minirock, das weit ausgeschnittene Top, der blonde Pony, den sie zu einem dünnen Zopf geflochten mit einer glitzernden Spange hinter das Ohr klemmt. Und natürlich ein schüchtern freundliches Lächeln für jeden, der mit ihr redet. Ihre Natürlichkeit ist echt.

Schauspielerei ist nicht ihr Ding. „Ich verstelle mich nicht, bloß, weil manche das so wollen“, sagte sie schon damals am Telefon, als nur noch 20 Kandidaten von einigen tausend Bewerbern übrig waren und es noch drei Monate bis zum Finale in Oberhausen waren. Auch nicht ihr Arbeitgeber. Er sucht längst nach einem neuen Superstar. Einem, der mehr Erfolg verspricht. Zum neunten Mal veranstaltet der Privatsender Pro Sieben das Spektakel „Popstars“, das ab heute wöchentlich ausgestrahlt wird – bis kurz vor Weihnachten. 365 Tage haben die neuen Stars normalerweise Zeit, sich durchzubeißen, so viele Auftritte wie möglich zu ergattern.

Dann gibt es einen neuen Superstar. Für „Some & Any“ lief die Schonfrist schon nach 100 Tagen ab. Tausende Vanessas haben sich für die neue Staffel beworben. Jetzt heißen sie Melinda, Sandy, Steffi oder Julia. Nur ein paar Meter entfernt von dem Nürnberger Café, in dem Vanessa sitzt, werden die Neuen gecastet. „Das wusste ich gar nicht“, sagt sie überrascht. Wenn es besser gelaufen wäre mit „Some & Any“, hätte sie der Sender eingeladen und mit den neuen Bewerbern in Szene gesetzt. Doch das Angebot blieb aus – und Vanessa interessiert sich nicht mehr für die Fortsetzung von Popstars. Für sie gibt es ja auch keine mehr.

Manchmal blitzt durch, was man ihr bei Pro Sieben beigebracht hat. Zu schnell und geschliffen kommen Sätze wie: „Jeder soll die Chance nutzen, an so einem Casting teilzunehmen.“ Dann hat man das Gefühl, dass zehn Kameras auf Vanessa gerichtet sind und sie gerade die neue Staffel bewirbt. Stattdessen sitzt sie mit ihrer Mutter in einem Café in Nürnberg.

Worüber sich echte Superstars manchmal freuen würden, ist für Vanessa ein Zeichen des Misserfolgs: Kein verschüchtertes Kichern vom Nachbartisch, kein nervös geglättetes Stück Papier, das ihr für ein Autogramm entgegengestreckt wird. Niemand will sich mit ihr fotografieren lassen. Keiner erkennt sie.

Ein ganz großer Fan ist ihr geblieben: ihre Mutter. Zu Hause im Wohnzimmer hat sie eine ganze Wand leergeräumt. Alle Artikel und Bilder ihrer Tochter hängen dort. „Jeden Auftritt haben wir von ihr aufgezeichnet“, sagt Delia Kulla. Sie ist immer noch stolz. Stolz, aber mindestens so enttäuscht wie Vanessa selbst. „Sie hätte mehr verdient“, sagt sie aufmunternd und etwas trotzig. „Vanessa hat das Richtige getan, als sie sich bei Popstars beworben hat“, versucht sie die Entscheidung zu rechtfertigen.

Keine Zweifel aufkommen lassen auch die Mädchen, die an diesem verregneten Frühsommertag vor der Anmeldung zum Casting in der Nürnberger Innenstadt stehen. Es stört sie auch nicht, dass sie vor allem eines sind: eine Nummer. Für den Vornamen bleibt auf dem Zettel kaum Platz, der auf die T-Shirts geklebt wird. Nummer 16051 heißt eigentlich Franzi. Der Schreiber bei der Anmeldung hat das „n“ vergessen und es unleserlich zwischen die anderen Buchstaben gequetscht. Frazi heißt die junge Ergotherapeutin jetzt. Auch egal. Wichtig ist sowieso nur die Nummer. 16102 hat ihre Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. „Ich bin hier, weil ich gerne singe. Aber eigentlich würde ich gerne Schauspielerin werden“, sagt die zierliche 16-Jährige mit leiser Stimme.

Beim Vorsingen winkt die Mitarbeiterin, die noch vor der Jury die Stimmen sondiert, nach wenigen Sekunden ab. 16102 freut sich, „so schlimm war das ja gar nicht“. Sie wird bei der Ausstrahlung der Staffel vermutlich als Zwischeneinblendung zu sehen sein – als Belustigung der Zuschauer. Nummer 16045 (Julia) geht es nur unwesentlich besser. Die Sarah-Connor-Kopie weiß, wie sie sich in Szene setzt. Mit ihrer Bassgitarre hat sie auch schon bei Starsearch und Deutschland sucht den Superstar (DSDS) aufgespielt. Weit gekommen ist sie nie. Auch bei Popstars nicht. Aber ihre Show hatte sie – bei Franken TV und der Nürnberger Lokalpresse.

Popstars müssen vor allem eines haben: ein Alleinstellungsmerkmal. Manager nennen so etwas „Unique Selling Proposition“ – etwas, das andere nicht haben. Auch wenn es sich um einen Gesangswettbewerb handelt, die Stimme ist das meistens nicht. Im Zweifel macht eine schwere Kindheit mehr her. Das Klischee vom verdorbenen Teenager, der es an die Spitze schafft, lässt sich besser vermarkten. Und bringt Quote.

Auch Vanessa brachte kurzfristig Quote, doch ihre Karriere war im Grunde schon zu Ende, als sie an jenem regnerischen Dezemberabend kurz vor Weihnachten zum Popstar gekürt wird. Der glitzernde Lamettaregen, der von der Oberhausener Arenadecke auf sie flatterte, war das Finale – im besten Wortsinn. Schon da gab das Publikum deutlich zu verstehen, dass es eigentlich die Konkurrenten Nik und Elif favorisiert hat. Sogar das große Wort „Verschwörung“ machte die Runde.

Pro Sieben hatte da bereits genug verdient. Durch Werbeeinnahmen und die zahllosen Anrufe und SMS von den Fans. 50 Cent pro Anruf, dasselbe für die SMS. „Meine Handyrechnung wird überirdisch“, sagt Vanessas Vater Mario Kulla am Morgen nach der Finalshow. Das System der Macher ist aufgegangen.

Nicht für Vanessa: Ganze 24 Auftritte hatten „Some & Any“ – 24 Auftritte in sieben Monaten. Aber immerhin waren auch große Shows dabei, vor vielen Menschen, in Großraumdiskotheken. Jetzt tritt sie in ihrer fränkischen Heimat auf, bei Festen des TV 1877, beim Sparkassen-Open-Air auf dem Marktplatz oder im Altenheim – erst nach vielen Zugaben, Autogrammen und Fotos ließen sie die Senioren gehen. Einmal gab sie auch Autogramme beim Friseur in ihrer Stadt – zwei Fans waren extra aus München angereist. Aber selbst das eher selten. Vanessa ist tief enttäuscht. Mehr aber nicht. Wenigstens einige Episoden machen ihr ein wenig Mut.

Sie will wieder zur Schule, Leo ist in die Schweiz zu seinem alten Job als Verkäufer zurückgekehrt. „Ab und zu telefonieren wir noch. Versuchen uns zu motivieren.“
Vanessa ist nicht nachtragend oder sauer wegen der Geschichte. Nur traurig, dass ihre Lieder nie im Radio gespielt wurden. In der „Bravo“ wurde nur schlecht über „Some & Any“ geschrieben. Ihr Poster hing nie in Lebensgröße in Jugendzimmern. Schlechtes Management? Dafür ist Ronnie Meister verantwortlich. Der wiegelt ab. „Sie haben zu wenig Support von den Fans bekommen. Die Abstimmung in der TV-Show ist Zuschauern oft wichtiger als die weitere Karriere der Sieger“, sagt er am Telefon. Die Fans sind also schuld. Und der Neid. Deutschen Castingshow-Gewinnern werde der Erfolg nicht gegönnt. „Da kann ich nur spekulieren, woran das liegt.“ Manchmal telefonieren Vanessa und er noch miteinander. Aber auch das nur selten.

Ronnie Meister ist längst weitergezogen. Er hat bereits Stimmen gefunden, die mehr hermachen. Zum Beispiel die eines jungen Mannes aus Frankfurt. „Er unterscheidet sich stimmlich nicht sehr nicht von anderen Tenören. Aber er hat das gewisse Etwas. Eine Aura, die den Raum ausfüllt, einen Look. der ihn von anderen Tenören unterscheidet. Und eine untypische Geschichte.“ Vielleicht eine Kindheit, die sich besser vermarkten lässt. Vanessa kann da nicht mithalten. Sie ist behütet aufgewachsen, ist gut in der Schule, hat viele Freunde – etwas weniger als vor der Karriere – und viele Hobbys.

Statt Plattenaufnahmen und Tourneen macht sie jetzt erst einmal den Führerschein und ihr Abitur. Als sie sich in ihrer Schule zurückmeldet, sagte der Rektor freudig und gleichzeitig überrascht zu ihr: „Ich wusste, dass du irgendwann wieder zurückkommst. Nur, dass es schon so bald sein würde, hätte ich nicht gedacht.“ Stolz ist er auf seine Vanessa – für ihn ist sie auf ewig ein Popstar.

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