RÖTHENBACH (sub) — „Väter, nehmt Eure Söhne mehr in den Arm!“ und „Ganztagesschulen wecken Lust auf Leben“ – das sind zwei der wichtigsten Aussagen von Prof. Dr. Christian Pfeiffer. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sprach in der Röthenbacher Karl-Diehl-Halle zum Thema „Medienkonsum und Leistungskrise von Jugendlichen“ in vier interaktiven, faktenreichen und unterhaltsamen Vorträgen vor Schülern, Lehrern und Eltern.
„Die gewaltfreie Erziehung zeigt Wirkung“, sagte Pfeiffer, der in der gut besuchten Stadthalle zunächst mit einigen Irrtümern aufräumte. Auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung oft anders aussehe, die Gewalt an Schulen ist seit 1997 auf die Hälfte zurückgegangen – auch weil die Lehrer aufmerksamer sind, glaubt Pfeiffer. Die Jugendgewalt sei insgesamt in den letzten vier Jahren um ein Viertel gesunken. Ebenso habe sich die Anzahl an Sexualstraftaten und von Gewalt in der Familie verringert. „Noch nie wurden Kinder so lieb gehabt wie heute.“
Doch genau in diesem Punkt kritisiert der erfahrene Kriminologe die Familien auch. „Denn nur, wer als Kind super-ohnmächtig ist, will später super-mächtig sein.“ Hier liege nach Pfeiffers Erkenntnissen auch ein Großteil der Ursachen von falschem Medienkonsum und Schulversagen vor allem von Jungen.
Seit 1990 würden die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bei Schulabbrüchen, Abiturabschlüssen und Studienanfängern immer größer. Sitzenbleiber und Schulabbrecher sind seitdem konstant zu etwa 60 Prozent Jungen. Demgegenüber machten 57 Prozent der Mädchen im Jahr 2007 Abitur, aber nur 43 Prozent der Buben. Bei den Erstsemestern in Medizin sitzen gar 67 Prozent Frauen, aber nur 33 Prozent Männer in den Hörsälen der Universitäten.
Von 2005 bis 2009 befragte Professor Pfeiffer über 50 000 Viert- und Neuntklässer zu Medienkonsum und Schule; die neuesten Ergebnisse von 2011 werden derzeit ausgewertet. Dabei stellte er eindeutige Zusammenhänge zwischen Bildungsgrad und Einkommen der Eltern und der Menge an Fernsehern und Spielekonsolen in den Kinderzimmern von 10-Jährigen fest. „Je ärmer die Eltern sind, desto mehr Geräte sind im Kinderzimmer“. Und zwar deutlich mehr bei Jungen als bei Mädchen.
Hat das Kind ein eigenes Gerät im Kinderzimmer, sitzt es nicht nur doppelt so lange daran, es schaut sich auch brutalere Inhalte an. Mittelschichtkinder schauen laut der Studie etwa 1,17 Stunden pro Tag in den Bildschirm, Kinder aus bildungsfernen und ärmeren Elternhäusern dagegen rund drei Stunden. Verschiedene Tests zeigten, dass nach dem Anschauen von teils brutalen Filmen oder dem Spielen am PC oder an der Konsole beispielsweise Mathematikaufgaben viel schlechter gelöst wurden als nach dem Sport oder Lesen.
Vehement plädiert Pfeiffer deshalb für die Ganztagesschulen, weil hier nachmittägliche Angebote in den Bereichen Sport, Musik, Theater und vielem mehr in den Kindern „Lust auf Leben wecken“. Diese Angebote in der Freizeit selbst zu bezahlen, könnten sich ärmere Eltern aber einfach nicht leisten.
Doch warum trifft dieses Problem vor allem die Jungen? Die oft geäußerte These, dass es an der überwiegend weiblichen Erziehung in Kindergarten und Schule liege, hält Pfeiffer für blanken Unsinn. So ließe sich beispielsweise beweisen, dass männliche Lehrer den Jungen und Mädchen keine anderen Noten in Deutsch und Mathe geben, als Lehrerinnen.
Er sieht einen ganz anderen, alarmierenden Grund: Videoaufnahmen unter anderem in Kindergärten zeigten, dass Mädchen heute liebevoller betreut, häufiger getröstet und in den Arm genommen werden als Jungen. Sowohl im Elternhaus als auch in Kindergarten und Schule sei dies der Fall. Das verunsichere die Buben nachhaltig. „Zeigen Sie Gefühle und nehmen Sie Ihren Sohn öfter in den Arm“ appellierte Pfeiffer deshalb auch vor allem an die Väter.
Am Ende gab es viel Applaus für Pfeiffers Thesen. Eingeladen worden war er von den Gymnasien Lauf, Röthenbach, Altdorf und Hersbruck, unterstützt von der Sparkasse Nürnberg und der Stadt Röthenbach.