Video-Interview mit Bocchetta

Filmpremiere in Hersbruck

Gebannt sahen sich die Zuschauer das Gespräch zwischen Vittore Bocchetta und Lukas Ott an. | Foto: A. Pitsch2016/11/7558889.jpeg

HERSBRUCK – „Es gibt kein besseres Geburtstagsgeschenk für Vittore Bocchetta als ihm zuzuhören“, fand Thomas Wrensch, Vorsitzender des KZ-Dokuvereins. Und das tat das bunt gemischte Publikum in der Aula der Realschule gebannt und mucksmäuschenstill, als anlässlich des 98. Wiegenfestes des ehemaligen Hersbrucker KZ-Häftlings das Video „Vittore Bocchetta im Interview zu aktuellen Fragen“ von Lukas Ott erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Nervös tigerte der Jungfilmer umher, prüfte die Technik und las seine Rede noch einmal durch. Die Aufregung des schmächtigen jungen Mannes war spürbar. Kein Wunder, füllte sich die Aula seiner ehemaligen Schule doch mit Kameraden wie Ehrengästen aus Stadt, Politik – wie Bürgermeister Robert Ilg und Landrat Armin Kroder – und Sozialwesen. Sie alle waren wegen Lukas Ott gekommen – zumindest auch wegen ihm.

Denn er rückte in seinem 17-minütigen Interview, das im Februar entstanden war, Vittore Bocchetta in den Mittelpunkt. Wrensch skizzierte in einführenden Worten Leben und Leiden des „Siegers“ – so die Bedeutung seines Vornamens –, der an der damals noch nicht stehenden Realschule vorbei zum Doggerstollen nach Happurg getrieben wurde und das KZ-Dasein letztlich „besiegt“ hatte. Doch warum sollte man auf „diesen wachen Zeitgenossen“ bei Fragen, die alle betreffen, hören? „Weil er Erfahrungen hat, die wir nicht haben“, klärte Wrensch auf, „und damit es keine Wiederkehr von Menschenverachtung geben wird“.

Genau dieser Gedanke scheint der Antrieb für Ott gewesen zu sein. Sprachlich gewandt und perfekt vorbereitet gab er einen kleinen Einblick in seine Beweggründe für das Video: „Nationalismus, Brexit, rechter Populismus, Flüchtlingsströme – das sind nur ein paar Stichwörter.“ Auch die Konsumgesellschaft und das Auseinanderfallen Europas beschäftigen ihn, weshalb er sehr deutliche Worte an Gleichaltrige, denen „Follower wichtiger sind als Worte“, richtete: „Passt auf, dass ihr nicht zu einer Nummer werdet.“ Er rief alle dazu auf, Europa besser kennenzulernen und hinter dieser Idee der Gemeinschaft zu stehen. All dies, fand Ott, lässt sich „von diesem außergewöhnlichen Individuum lernen“. Damit sich die NS-Zeit nicht wiederholen kann.

Individualität, die Bocchetta durch den Konsum bedroht sieht, Freiheit des Menschen und der Traum eines geeinten Europa, ja gar einer „Weltgemeinschaft aus Individuen“ waren denn auch die zentralen Themen im Video-Interview. Dieses kommt ohne Schnickschnack wie Musik, Intro oder Einblendungen aus. Sofort ist der Betrachter mitten im Gespräch von Ott und Bocchetta.

Die Macher um Ott vertrauen auf die Macht der Worte. Und in diese mischt sich jede Menge Pessimismus: Für Bocchetta, der selbst oft woanders lebte, beinhaltet die zu rasche Migration eine hohe Explosivität. Ob sich die NS-Zeit wiederholt, fragt Ott ihn. Nein, es wird etwas Neues geben, so der Ausblick des Italieners.

Er selbst hat den Film noch nicht gesehen. Denn ein erneuter Besuch in Hersbruck ist erst für Ende Januar kommenden Jahres vorgesehen. Dann werden Schüler des PPG das Kunstfenster der Sparkasse mit Nachbildungen und Interpretationen seiner Skulptur „Incubo“ (Alptraum, 1970) füllen.

Derzeit arbeiten die Gymnasiasten mit der Dauerleihgabe des KZ-Vereins, versuchen sich in Bocchettas Gefühle hineinzuversetzen und „eigene bildnerische Antworten auf die Vorlage zu geben“, wie Lehrer Ulf Geer erläuterte. Welche Worte der Jubilar dafür dann wohl finden wird? Zuhören wird ihm jedenfalls sicher wieder jeder.

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