HERSBRUCK – Das Festivalfinale „Guitars Unlimited” versprach ungewöhnliche Dimensionen: Zwei Konzertpausen ließen auf zeitliche Ausdehnung schließen, bei der Ankündigung von „Musik unseres Jahrhunderts” befürchtete wohl mancher Schlimmes. Tatsächlich wurde es ein spannender, intensiver, komplexer, musikästhetisch perfekter Abend. Die „Zumutungen” waren wohl eher als Kompliment für ein Publikum zu verstehen, das am Ende dieser Festivalwoche von mehreren Seiten für seine Neugier und Offenheit gelobt wurde.
Der Erfolg neuer, bisher ungehörter Musik hängt wesentlich von der Qualität der Ausführung ab, welche sich den ganzen Abend auf allerhöchstem Niveau bewegte. So konnte der Urheber des Auftragswerks für das Festival 2015, der extra aus Kuba eingeflogene Komponist Tulio Peramo Cabrera, mit großer Gelassenheit die Uraufführung seines Opus durch das Miscelanea-Quartett genießen. „La tarde se hace noche sobre la Plaza en fiesta” skizziert die gespannte Stille auf einem Platz vor Sonnenuntergang in der Vorfreude auf ein Fest. Großer Applaus für den musikalischen Poeten Cabrera und die seit 2007 als Quartett agierenden Gitarristen Alejandro Diaz Bandres, Yorgos Pervolarakis, Manos Anastasakis und Kostas Tisidis, die seine Partitur so gekonnt wie einfühlsam in Szene gesetzt hatten.
Den Rahmen für die Uraufführung bildeten zwei Werke des Amerikaners Ian Krouse (geb. 1956). „Folias” greift auf eine spanisch-portugisische Tanzmelodie aus dem 15. Jahrhundert zurück, die über einem ostinaten Bass fortlaufend variiert wurde. Allerdings dauert es ein Weile, bis dieses Thema zu hören ist, weil Krouse – in einer sehr konkreten, stark von unregelmäßigen Rhythmen geprägten Tonsprache – sich quasi rückwärts durch den Strom wühlt, um nach und nach die Quelle freizulegen. Die „Heimreise” endet mit einer Gag-Anleihe bei Papa Haydn: Wie in dessen „Abschiedssinfonie” verlassen die Musiker einzeln das Podium – ein Abschied von der „alten” Musik? Nun denn, zum Empfang des verdienten Beifalls waren sie alle wieder da.
Auch in „Bulerias” (Flamencotänze) fokussiert Krouse besonders die unegalen Akzentuierungen, welche er raffiniert mit der Technik der „Minimal Music” zu verknüpfen weiß. In Erinnerung bleibt eine grandiose Klatsch-Einlage. Erwähnenswert: Das Quartett mit dem bescheidenen Namen (Miscelanea bedeutet „Verschiedenes”) spielt diese Stücke von erheblicher Länge nicht nur gnadenlos präzise, sondern auch auswendig, was nicht ohne ein ausgeprägtes Strukturbewusstsein funktioniert, ganz abgesehen von Trainingsbereitschaft bis zur Selbstaufgabe. Als Dessert gab es „Puderzucker”, ein Stück des Cyprioten Marios Joannou Elia, Jahrgang 1978, mit diversen, das gewohnte Gitarrenklangbild erweiternden Effekten, bis hin zum wohleinstudierten Urgeschrei.
Mit satten Ohren ging’s in die Pause, doch für das italienische Duo Paolo Devecchi und Salvatore Seminara gab es schon wieder volle Aufmerksamkeit. Auf die duftig und transparent präsentierte Adaption einer Vivaldischen Violoncellosonate folgten ausschließlich Eigenkompositionen: „Vasquesz”, „Kongre!”, „Invenzione quasi un Tango”, „Memory”. Schließlich „Tejido” (Gewebe), ein Titel, der für die Identität dieses Duos stehen könnte: für die kunstvollen Strukturen seiner Musik wie für das eng verwobene Zusammenspiel. Allerfeinste Kammermusik auch als Zugabe: ein Pas de deux aus tanzenden Flageolett-Tönen.
Anders als seine Kollegen begann Claus Boesser-Ferrari als Rockmusiker und studierte dann klassische Gitarre. Gemeinsam ist ihnen das Bewusstsein musikhistorischer Wurzeln – ohne Gestern kein Heute. Folgerichtig knüpft auch er im 16. Jahrhundert an (Es geht ein dunkle Wolk herein), um sich dann improvisierend durch Zeit und Raum zu schwingen. Mit wenigen technischen Hilfen wie Hall- und Echogerät und kreativem Umgang mit dem Instrument baut er einen Klangraum auf, der von trockenem Papierrascheln bis zur Geisterbahn-Akustik alles bietet. Gitarre grenzen – und pausenlos: Eine gefühlte Ewigkeit hält er die Zuhörer auf Spannung.
Als Dank für deren Durchhaltevermögen gibt’s noch ein entspanntes Abendliedchen. Seiner Begeisterung für das Hersbrucker Modell gibt er später drastisch Ausdruck: „Schreiben Sie bitte: Dies ist ein Festival gegen die Verblödung!” Welch ein Kompliment. Man könnte es wohl auch so ausdrücken: ein Festival gegen Engstirnigkeit und Trägheit, für Offenheit, Mut und neue Denkweisen.
Weil eine erfolgreiche Festivalwoche nur mit vereinten Kräften zu stemmen ist, nahm die bürgermeisterliche Dankesliste gebührenden Raum ein: Öffentliche und private Sponsoren, Förderverein, AOK als Gastgeber und Versorger der Seminarteilnehmer, Ton- und Lichttechnik, Stadtverwaltung, Feuerwehr, Mediziner, Medien (BR und HZ), Dozenten, Cornelia Stötzner als Organisatorin und natürlich der Künstlerische Leiter Johannes Tonio Kreusch. Fazit: Hersbruck freut sich aufs nächste Jahr.