Fokus Burgthann

Von Lesern – Geschichten zum Advent

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BURGTHANN – In der Adventszeit gibt es bei uns Geschichten, die von unseren Leserinnen und Lesern geschrieben oder aufgegriffen wurden. Jede Erzählung ist einzigartig und bringt etwas Besonderes mit sich. Wir wünschen viel Spaß und eine schöne Vorweihnachtszeit!

Die Stimme der Glocken

An diesem Tag in der Vorweihnachtszeit war es klirrend kalt. Der Schnee, der einige Tage vorher gefallen war, knirschte beim Gehen. In einer stillen Ecke, ganz nahe des Christkindlesmarktes saß ein alter, armer Mann auf dem Boden in eine Decke gehüllt.
Dicht an ihn geschmiegt lag sein über alles geliebter Hund, sein ganzer Lebensinhalt, ebenfalls dick eingepackt, damit auch er nicht frieren musste. Mit kalter Hand streichelte der alte Mann zärtlich über das Fell des Tieres.

„Mein kleiner Benji, du treue Seele“, seufzte er leise, worauf der Hund mit ergebenen Augenaufschlag zu ihm aufsah, einem Blick, der ein verhärtetes Herz hätte schmelzen können.
Viele Menschen gingen an dem alten Mann vorüber. Mancher von ihnen warf nur einen kurzen, fast peinlichen Blick auf ihn. Andere dagegen schenkten ihm ein kurzes Lächeln und wenn er Glück hatte warfen sie eine, oder mehrere Münzen in seinen Hut, der vor ihm lag.

Zur selben Zeit, in einer Wohnung, nahe des Schönen Brunnens, saß sich ein Pärchen gegenüber, das heftig miteinander diskutierte. Es dauerte nicht lange und das Gespräch endete in einem unseligen Streit.„Sonja… und dass du es weißt! Ich habe keine Lust mehr auf diese Spielchen! Such´ dir einen anderen Mann, mit dem du besser klarkommst! Mich jedenfalls kannst du vergessen!“ Ohne Rücksicht schleuderte er ihr diese harten Worte entgegen.
Sie blieb auffällig ruhig, doch niemand konnte in ihr Herz sehen, das in diesem Augenblick zu zerbrechen drohte. „Du musst wissen, was du tust“, entgegnete sie ihm seelenruhig, obwohl sie vor Schmerz hätte schreien mögen.

Nachdem er die Wohnungstür laut hinter sich zu fallen ließ lehnte sie sich zitternd zurück und weinte bittere Tränen. Sollte dieser Moment das Ende einer großen Liebe sein?

An Markus, dem jungen Mann ging der Streit auch nicht so spurlos vorüber. Erst einmal wollte er seine Gedanken ordnen, aber in diesem Moment nicht weiter darüber nachdenken. Er beschloss, direkt durch den Weihnachtsmarkt nachhause zu gehen und erhoffte sich dadurch ein wenig Ablenkung. Er ließ die vielen positiven Eindrücke des Marktes auf sich wirken und mit der Zeit stabilisierte sich auch sein seelischer Zustand.
Zufällig führte ihn sein Weg an dem alten Mann vorbei, der immer noch da saß mit Benji, der brav neben ihm lag und vor sich hindöste.

Zuerst fiel Markus Blick auf Benji, denn er liebte Hunde sehr.

„Na, du Kleiner?“ Benji reagierte sofort und es entwickelte sich augenblicklich ein reger Blickkontakt zwischen den Beiden. Markus aber wusste nicht recht, was er von der Haltung eines Hundes in einer derartigen Lage dieses Besitzers denken sollte. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf den alten Mann, der ihm freundlich zunickte. „Hat Ihr Hund heute schon gefressen“, fragte Markus besorgt.

„Ja, ja! Für mich kommt zuerst mein Hund, dann ich!“ Er nickte nachdrücklich. „Das ist gut so“, erwiderte Markus beruhigt. Er überlegte nicht lang und legte dem Mann einen Geldschein in seinen Hut.

„Haben Sie vielen Dank! Vielen Dank!“ Der arme Mann freute sich sehr, denn es kam sehr selten vor, dass Geldscheine in seinen Hut geworfen wurden. „Kann ich Ihnen sonst irgendwie behilflich sein?“ „Eine interessante Frage, in solch einer Lage, in der ich mich befinde“, antwortete der Bettler etwas befremdend.

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich meine es ernst!“ Markus fühlte sich missverstanden.
„Ja, ja, ist schon gut“, antwortete ihm der alte Mann lapidar. In ihm regte sich sein alter Stolz, aber auch ein Gefühl von Scham. Plötzlich begannen die Glocken der Frauenkirche zu läuten. Der alte Mann warf einen kurzen Blick nach oben und lächelte leicht.

„Sind die Glocken dieser Kirche nicht wohlklingend? Ich liebe diese Glocken! Für mich sind es die Glocken der Heimat“, meinte er wehmütig. Zuerst dachte Markus, der Mann wollte vom vorherigen Thema ablenken, aber dieser Glockenklang schien ihn wirklich zu berühren. „Ich mag es auch, wenn Glocken läuten“, erwiderte er, nicht ganz so euphorisch wie der alte Mann.

„Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Glocken unser ganzes Leben begleiten? Sie begleiten uns in guten und in schlechten Zeiten, eigentlich immer. Zum Beispiel zu Ostern, wir benennen sogar Blumen nach ihnen…, Osterglocken! Und zu Weihnachten?

Das ist sowieso klar! Können Sie sich eine Weihnacht ohne Glockenklang vorstellen? Undenkbar! Wenn ich zurückdenke an meine Kindheit, als ein kleines Glöckchen bimmelte und Mutter die Tür zur Wohnstube öffnete…“. Der arme Mann schwieg für eine Sekunde. Diese Erinnerung schien ihn sehr zu berühren. Markus wagte nicht, ihn zu unterbrechen.

„Ja, und dann…, in der Schule, da klingelte es pausenlos. Zum Unterrichtsbeginn musste man brav an seinem Platz sitzen…, es klingelte. Wenn die Pause zu Ende war mussten wir exakt pünktlich zurück sein… und es klingelte. Wenn wir Kinder überdreht und unaufmerksam waren rief der Lehrer immer „Ruhe jetzt!“ und schwenkte genervt sein Glöckchen in der Hand. Wenn ich jetzt so zurückdenke, in der Schule bimmelte es eigentlich ziemlich oft. Das ist mir als Kind gar nicht so aufgefallen.

Als ich später vom Krieg heimkehrte empfingen mich die Glocken der Heimat, ein Klang, den ich für immer in meinem Herzen bewahren werde. Während der Zeit vorher aber ertönte viel zu oft nur eine einzelne Glocke, deren Klang mich noch heute erschauern lässt, die Totenglocke.
Wobei ich die Friedensglocke zu erwähnen, nicht auslassen darf. Sie ist eine der wichtigsten Glocken dieser Erde, deren Stimme niemals verstummen darf!“ Der alte Mann sah Markus mit dem Kopf nickend an.

„Jetzt habe ich Sie aber vollgequatscht, stimmt´s?“ „Nein, nein, gar nicht!“ Trotzdem fühlte sich Markus ein wenig überfordert. Derart intensiv wie dieser Mann hatte er sein bisheriges Leben noch nie infrage gestellt, zumal er vor allem den, dem Anschein nach unwichtigen Begebenheiten des Lebens so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkte.

„Ach, wenn ich Sie auch vielleicht langweile, einen äußerst wichtigen Glockenklang habe ich vergessen, zu erwähnen…, die Hochzeitsglocken! Ja, ich finde, sie sind sehr wichtig! Sie verändern unser Leben total, sei es zum Guten, oder…, na ja, Sie wissen schon. Aber, wir bilden uns ein, dass sie froh, hoffnungsvoll und erfüllend klingen, und das ist gut so. Mir haben sie die Erfüllung gebracht bis zu dem Tag, als meine Frau gehen musste, obwohl sie so gern noch bei mir geblieben wäre…, aber, so ist das Leben.“

Markus schloss seine Wohnungstür auf und hängte nachdenklich seinen Mantel an die Garderobe. Die Worte des alten Mannes hallten in ihm nach. Eigentlich sprach der Bettler nur von Glocken. Dieses Gespräch aber löste in ihm Gedankengänge aus, deren Richtung er bisher noch nie gefolgt war. Was wäre, wenn es Sonja in seinem Leben nie mehr geben würde? Würde sie ihm fehlen, er sie vermissen? Sein Gefühl antwortete spontan mit einem eindeutigen „Ja!“


In Gedanken spielte er die Situation durch… Er steht mit ihr vor dem Traualtar und vom Turm herunter läuten die Hochzeitsglocken, nur für sie Beide allein! Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfüllte ihn und er wollte dieses Gefühl Wahrheit werden lassen. Noch nie in seinem Leben war er sich in einer Entscheidung so sicher. Nun stand er vor ihrer Tür und klingelte. Er kaufte keine roten Rosen, versteckte keinen Verlobungsring in seiner Jackentasche. Er wartete nur ungeduldig, bis sie endlich die Tür öffnete.

Überrascht sah sie ihn an, ihre Augen bekamen einen verdächtig glasigen Schimmer. „Du?“ Ihre Stimme klang schwach und ein wenig unsicher. „Sonja, sag´ jetzt bitte nichts. Ich möchte dich um etwas bitten, und wenn du einverstanden bist, dann umarmst du mich einfach nur, okay?“ „Okay“, erwiderte sie etwas zaghaft.

„Sonja, ich möchte, dass für uns Beide bald die „Hochzeitsglocken“ läuten! Willst du das auch?“ Sonja´s Blick umfasste liebevoll sein Gesicht. Damit hatte sie wahrlich nicht mehr gerechnet, doch insgeheim wünschte sie sich so sehr, mit Markus ihr Leben zu teilen. „Okay“, antwortete sie ihm zärtlich unter Freudentränen. Sie umarmten sich glücklich und wollten sich nie mehr wieder loslassen.

Der arme, alte Mann musste nicht mehr lange seine einsamen Tage auf der Straße verbringen. Sonja und Markus kümmerten sich liebevoll um ihn und besuchten ihn oft und gern in seiner kleinen, aber eigenen Wohnung. Und Benji, der pendelte zwischen Markus und seinem alten Herrchen hin und her und fühlte sich sprichwörtlich… wie der Hahn im Korb.

Text: Anita Klebensberger

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