OFFENHAUSEN/ECKENTAL – Mit dem guten Wetter bereiten sich viele Landwirte auf die erste Mahd im Jahr vor. Das Problem ist, dass sich diese mit dem Zeitraum der Setzzeit von Rehen überschneidet.
Rehmütter legen die Kitze in der Wiese ab, weil sie viel Ruhe und Schlaf brauchen. Im hohen Gras sind sie geschützt vor natürlichen Feinden – nur nicht vor den Mähmaschinen. Damit startet für die ehrenamtliche Rehkitzretterin Andrea List und ihren Mann Hans wieder die heiße Phase. „Je nach Wetter geht es meistens zwischen Anfang und Mitte Mai los, das ist die akute Gefährdungsphase für Rehkitze“, erklärt Andrea List. Sie und ihr Mann kommen aus dem Raum Eckental. Meistens agieren sie in und um Offenhausen, wo ihr Mann auch als Jagdpächter und Jäger tätig ist.

Landwirte haben die direkte Verantwortung für ihre Flächen. Sie sind laut Tierschutzgesetz (Paragraf 17) dazu verpflichtet, präventive Maßnahmen zu ergreifen, um den Reh-Nachwuchs auf ihren Wiesen zu schützen. Meistens werden die Jäger oder die Jagdpächter informiert, damit die betroffenen Flächen nach Rehkitzen abgesucht werden können. Wer dagegen verstößt, muss mit einer Anzeige und mittlerweile sogar mit einer Verurteilung rechnen. „Und das ist auch gut so“, stellt List klar, „es tut keinem Landwirt weh, einen Jäger anzurufen.“ Der gesamte Arbeits- und Zeitaufwand liege immerhin beim Jagdpächter oder Jäger und den Helferinnen und Helfern. Andrea List hat bereits mehrfach gesehen, was passiert, wenn Rehkitze einfach übermäht werden. Jährlich fallen tausende Tiere den scharfen Klingen zum Opfer: „Die Kitze sind entweder tot oder schrecklich verstümmelt – manchmal leben sie noch kurze Zeit mit abgetrennten Beinen.“
Drohne mit Wärmebildkamera im Einsatz
Um dieses fürchterliche Schicksal zu vermeiden, ist das Ehepaar im Mai regelmäßig im Einsatz. Ihr Mann macht das schon seit langem – vor vier Jahren hat er sich eine Drohne mit Wärmebildkamera angeschafft. „So kann in kürzester Zeit ein großes Gebiet abgeflogen werden“, sagt die Rehkitzretterin. Davor sei es sehr zeitaufwendig gewesen, weil die Wiesen zu Fuß abgesucht werden mussten. „Die Rehkitze ducken sich im hohen Gras weg, so dass man sie nicht sieht, auch wenn man fast neben ihnen steht – das typische Fluchtverhalten lernen sie erst später.“

Neben der Drohne ist auch weiteres Equipment essenziell: Handschuhe, damit das Rehkitz nicht nach Mensch riecht und von der Mutter verstoßen wird; vorbereitete, mit Gras ausgelegte Boxen, in die das Kitz während des Einsatzes gelegt wird und „Kaffee ist sehr wichtig“, erklärt List mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Denn die Einsätze starten in aller Frühe. „Die Sonne erwärmt Wiese und Boden. Je später man startet, desto schwieriger wird es, die Umrisse der Rehkitze auf der Wärmebildkamera zu erkennen“, gibt sie zu denken.
Elf gerettete Jungtiere in 20 Einsätzen
Im vergangenen Jahr sind sie etwa 20 Mal ausgerückt – meistens zu zweit, selten mit einigen weiteren Helferinnen und Helfern. Dabei haben sie elf Rehkitze retten können.

Anfangs sei es für die Eckentalerin gar nicht so leicht gewesen, ein Rehkitz festzuhalten. „Man muss beherzt zugreifen, es ist aber so ein kleines zerbrechliches Wesen – das kostet Überwindung“, erklärt sie. Das Gefühl, ein kleines Leben gerettet zu haben, sei aber überwältigend und erfüllt sie mit Glück, Freude, aber auch mit Zufriedenheit und Ruhe: „Man vergisst in dem Moment eigentlich alles drumherum, jeglichen Kummer und alle Sorgen.“ Ebenso sei es ein großartiges Gefühl ein gerettetes Rehkitz am Waldrand in die Freiheit zu entlassen, damit es die Mama wieder abholen kann. In den nächsten Wochen sind die beiden wieder unterwegs im Landkreis – mit der Mission, so viele Rehkitze wie möglich vor einem grausamen Schicksal zu bewahren.