Ausstellung zu Sucht und Selbsthilfe in Engelthal

Wo ist die Grenze?

Klinikleiter Thomas Kraus, Brigitte Bakalov (Kiss) und Susanne Schneider (Öffentlichkeitsarbeit der Bezirkskliniken Mittelfranken) zeigen zwei Beispiele für die Ausstellung „Selbsthilfe zeigt Gesicht“. | Foto: M. Scholz2017/04/7999030.jpeg

ENGELTHAL – Was ist noch normal und was ist schon krank? Das ist häufig eine schwierige Frage, wenn es um den fließenden Übergang zu psychischen Extremen geht, zum Beispiel ob das Schlankheitsideal nicht schon Wahn ist oder der Alkoholgenuss nicht schon Sucht. Seit Monaten thematisieren die Bezirkskliniken dieses Thema mit auffälligen Plakaten. Nun gibt es in der Frankenalbklinik in Engelthal dazu eine interessante, erweiterte Ausstellung.

Eine junge Frau mit Idealfigur neben einem blassen Magermodel, ein begeisterter „Überspringer“ neben einem abgestürzten „Runterspringer“ – die Bilder der sogenannten Anti-Stigma-Kampagne sind provozierende Botschaften, aktuell vielerorts an Plakatwänden im Landkreis zu sehen. „Wo ist die Grenze?“ prangt darauf. Wer sich angesprochen fühlt, findet darunter in roten Lettern die Aufforderung „Hol dir Hilfe!“

„Ja, es geht um ein Bewusstmachen“, bestätigt der Engelthaler Chefarzt Professor Thomas Kraus bei einem Rundgang durch die frisch eröffnete Ausstellung im Klinik-Foyer, während sein Blick auf die kontrastreichen Kampagnen-Motive an den Stellwänden fällt. Dazu kommen noch weitere Bilder und Texte der Wanderausstellung „Selbsthilfe zeigt Gesicht“: Menschen sind im Porträt abgebildet und bekennen sich mit Name und Beruf zu ihren psychischen Problemen. Kurz erzählen sie, wie Selbsthilfegruppen sie auffingen.

Deshalb begleitet auch Brigitte Bakalov von der Selbsthilfekontaktstelle Kiss den Rundgang. „Über seine Grenzen nachzudenken und zu erkennen, ein Problem zu haben, ist der erste Schritt“, sagt Professor Kraus. Danach sind verschiedene Wege offen, nicht jeder müsse über eine psychiatrische Klinik führen. Manchmal sei eine Selbsthilfegruppe eine Alternative, bei der es auch darum geht zu sehen, dass man mit seinem Problem nicht alleine ist, wie Brigitte Bakalov erläutert. Es komme immer auf den Einzelfall an.

Aber warum Anti-Stigma-Kampagne? Im Gespräch erläutert der Engelthaler Chefarzt, dass gesellschaftliche Tabus allzu oft einer fachmännischen Behandlung im Weg stehen. Er nennt Beispiele: Eine Schizophrenie sei schlecht zu verbergen, „jemand ist verwirrt und macht komische Sachen“. Das fällt auf, Mitmenschen werden aufmerksam und greifen ein. Deshalb können 85 bis 90 Prozent der Betroffenen im Land als gut versorgt gelten.

Bei Alkoholsucht dagegen sei es genau umgekehrt: Nur 10 bis 15 Prozent seien an der richtigen therapeutischen Adresse, weiß Kraus. Warum? „Weil sie das Problem leichter verbergen können.“ Das gilt gleichermaßen für andere psychische Krankheiten. Bei der Depression liege der Versorgungsgrad bei 50 bis 55 Prozent, bei Angststörungen, zum Beispiel auch der Furcht, vor anderen Menschen zu sprechen, noch höher, schätzt Kraus. „Häufig wird das nicht erkannt“, weiß er, obwohl es sich um wahre Volkskrankheiten handle.

Auf die flapsige Frage, ob nicht jeder ein bisschen verrückt sei, antwortet der Nervenarzt, Psychiater und Psychotherapeut, dass die Grenzen klar definiert seien. Eine Erschöpfung sei noch kein Burnout, ein Burnout noch keine anerkannte psychische Krankheit. Er könne sich aber zu einer Depression auswachsen. Den Unterschied erklärt der Fachmann, vereinfacht, so: „Jemand, der erschöpft ist, erholt sich, wenn er sich hinlegt. Ein Depressiver kommt nicht mehr hoch.“

Nicht jeder ist gleich krank
Als Problem sieht er, dass Menschen mit psychischen Auffälligkeiten schnell mit einem Stempel versehen würden. Ein bizarres Verhalten bedeute aber nicht automatisch Psychiatrie. Die Grenzen seien fließend. „Es gibt Übergänge“, erklärt Kraus. „Wir wollen, dass Kranke an der richtigen Stelle behandelt werden“.
Ein Schritt könne auch der in eine Selbsthilfegruppe sein. Bakalov erklärt: „Wenn Betroffene sich ihres Problems bewusst sind und nicht mehr ihre ganze Energie ins Verheimlichen stecken, dann können sie ihr Leben ordnen.“ Die nicht mehr gebundene Kraft steht dann auch für eine mögliche Heilung zur Verfügung. Dafür liegen die Chancen laut Kraus, pauschal gesagt, immerhin bei fast 70 Prozent, wovon etwa die Hälfte die Behandlung in der Klinik noch einmal wiederholen muss. Aber zuerst gilt es, sich das Problem selbst einzugestehen und anschauen zu lassen.

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