Wirtschaftsbroschüre

Hier schlägt ein Herz der deutschen Wirtschaft

Das Industriemuseum Lauf. In situ, also entstanden und zugänglich an genau der Stelle am Fluss, an der mit Wehren und Wasserrändern in der Pegnitz schon im Mittelalter die Laufer Frühindustrie entstanden ist. Foto: Clemens Fischer2023/04/wibro_fruehindustrie_1.jpg

Handwerk und Industrie in Mittelfranken und im Nürnberger Land – ein Blick in die Geschichte

Die Nutzung der Wasserkraft als Beginn der Industrialisierung ist der Hintergrund einer Initiative des Laufer Industriemuseums zur Schaffung einer „Industriekulturregion Nordbayern“. Der Laufer Professor für Industriegeschichte, Ekkehard Wagner, beleuchtet die wirtschaftliche Entwicklung in der Stadt Lauf und im Nürnberger Land.

Nürnberg und noch mehr Lauf sind beispielhaft für den Weg in die Frühindustrie. Die kleine Stadt am Fluss und an der „Goldenen Straße“ baute schon im Mittelalter in das starke Gefälle der Pegnitz vier Wehre, um mit über 40 Wasserrädern Mehl-, Säge-, Schleif- und Drahtziehmühlen oder Hammerwerke zu betreiben.

Der Begriff „Technik“ selbst ist dem Griechischen entlehnt und bedeutet in etwa „zur Kunst gehörig“, hat also mit Können zu tun. Technik war und ist mit wenigen Ausnahmen die Antwort auf existenzielle Probleme menschlicher Existenz! Diese Erkenntnis zieht sich durch die Geschichte der Menschheit – von ersten Waffen früher Hominiden zur Abwehr wilder Tiere sowie zur Jagd. Schlagkräftiger Nachweis und gutes Beispiel ist die Entwicklung der Landwirtschaft, deren erste Spuren ab dem 13. Jahrhundert v. Chr. im nordöstlichen Afrika zu finden sind. Der Grund: Klimawandel und möglicherweise wachsende Bevölkerung erzwangen Ackerbau und lange danach Viehhaltung. Das führte zu Sesshaftigkeit oder zum Weiterwandern in lebensfreundlichere Räume. Die seitdem folgende „Kette“ technischer Errungenschaften lässt sich – stark vereinfacht – aufzählen: statt menschlicher Muskelkraft Einsatz von Tierkraft, dem folgten Erfindungen für unterschiedliche Nutzung von Wind- und Wasserkraft. Wahrscheinlich gab es das erste Wasserrad auf der Agora (dem Marktplatz) von Athen im 4. Jahrhundert v. Chr.

Die Eisenbahn ist das Schwungrad der Industriellen Revolution.

Das römische Imperium „profitierte“ von Wissenschaft und Technik der Griechen und lieferte neue Erkenntnisse unter römischer Herrschaft auf allen Gebieten. Die häufig geäußerte Anmutung, nach dem Untergang Roms hätten „wir“ Mitteleuropäer dessen technische Errungenschaften quasi nahtlos übernommen, ist sicherlich falsch: Wissenschaften und Technik übernahm zunächst der arabische Raum. Erstaunlich ist das Vergessen der Wasserkraft nördlich des Limes. Erst im Übergang vom Späten Mittelalter zur Neuzeit ist das römische Erbe von Wissenschaften und Technik „wieder“ zu uns gelangt, der Begriff „Renaissance“ umschreibt dies.

Bleiben wir beim Wasserrad: Einer der ersten Nachweise dieser Kraftquelle stammt 1028 aus Schmidmühlen bei Amberg, am Rand des „Ruhrgebietes“ des Mittelalters. Überall, wo Wasserläufe vorhanden waren, reihte sich Mühle an Mühle, zunächst zum Mahlen von Mehl, später zur Herstellung von Waren und Geräten.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Weg in die „Industrielle Revolution“ (wir nennen sie heute „die erste“) in England geebnet, weil hier die Erfindung der Dampfmaschine Menschen-, Tier- und Wasserkraft ersetzte und unabhängig von Wasserläufen Arbeiten verrichtete. Allgemein wird die Dampfmaschine als Auslöser dieser Revolution genannt – wir könnten aber auch den Ersatz der Holzkohle durch Koks als bahnbrechende Erfindung ansehen. Damit wurden mit höheren Temperaturen zur Erzschmelze bessere Stähle erzeugt. Diese waren wiederum Voraussetzungen für wirtschaftliche Dampfmaschinen, andere Maschinen sowie für Waren.

Foto: sever07 – stock.adobe.com2023/04/wibro_fruehindustrie_2.jpg

Europäische Nationalstaaten und die jungen USA marschierten an der Spitze der Industrialisierung, das von zahllosen Herrschaften zerfaserte „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ geriet ins Hintertreffen. Das änderte sich erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts im noch jungen Königreich Bayern und hier im nach seiner Blütezeit im Mittelalter zunächst verarmten, vormalig reichsfreien Nürnberg. 1504 hatte es die Städte Lauf, Hersbruck, Altdorf gewaltsam eingegliedert und damit seine Machtstellung erweitert. Die drei genannten Städte ergänzten sich ideal: Lauf war mit seinen Wasserrädern das Handwerkerzentrum. Hersbruck war die Händlerstadt (Hopfen) und Altdorf wurde bis 1809 mit seiner „Altdorfina“ die Universitätsstadt der Nürnberger.

Warum aber brach vor allem im Nürnberger Land und Nürnberg diese industrielle Revolution für Bayern und damit auch für Süddeutschland aus? Zum einen waren dies die genannten Wasserläufe als Kraftquellen und die nahen Rohstoff-Vorkommen in der Oberpfalz. „Initialzündung“ war aber auch die Gründung der „Polytechnischen Schule“ vor 200 Jahren, also 1823 zu Nürnberg – ihr gebührt der 4. Rang in Europa. Hierdurch blühten Ingenieurkunst und Erfindungsgeist auf. Die Verbindung von Main und Donau durch den Ludwigskanal war eine weitere Pionierleistung. Und als „Wunder“ können wir die erste Dampfeisenbahn auf deutschem Boden bezeichnen, einer dem englischen Vorbild entsprechenden Eisenbahn-Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Dem folgten die Eisenbahnlinien von München nach Augsburg und die Süd-Nordbahn von Lindau nach Hof. Der Spruch „Die Eisenbahn ist das Schwungrad der Industriellen Revolution“ bewahrheitete sich: Überall wo Bahnhöfe und Lagerhäuser entstanden, wuchsen Industriebetriebe wie Pilze aus dem Boden.

Lauf und Hersbruck hatten den Vorteil, gleich zwei Bahnstrecken „links und rechts der Pegnitz“ nutzen zu können. Doch der Wandel der Zeit und die Unabhängigkeit von der Wasserkraftnutzung machten auch vor den vielen Produktionsstätten in Mittelfranken nicht Halt. Dazu kam das „Mühlensterben“ in der Mitte des letzten Jahrhunderts, sodass wir heute Produktionsverfahren und Maschinen der hier berichteten Zeit nur noch in Museen und Industriedenkmälern vorfinden.

Bleiben wir beim besonders anschaulichen Beispiel Lauf: Alle von Wasserkraft angetriebenen Mühlen sind verschwunden – nur noch die Stadtwerke erzeugen am dritten Wehr Elektrizität. Ausnahmen: Im Industriemuseum können Kunstmühle und Hammerschmiede vorgeführt werden. Andere auch traditionelle Industrieunternehmen sorgen aber nach wie vor dafür, dass das kleine Städtchen trotz seiner historisch wertvollen Stadtanmutung ein bedeutender Industriestandort geblieben ist, mit der Steatit- und Keramik-Industrie sowie der Herstellung von Präzisionswerkzeug, Autozulieferern und Elektrik und Elektronik.

Prof. Ekkehard Wagner

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