24 Stunden: Blindeninstitut Rückersdorf

Blindeninstitut Rückersdorf – So läuft ein Tag am Ort der Lebensfreude ab

Am 13. September feierten siebzehn Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Familien ihre Einschulung auf der Festwiese des Blindeninstituts. Beim sogenannten „Schultütenfest“ wurde jedes der Kinder musikalisch begrüßt und vom Institutsleiter, der Schulleitung und dem Lehrerkollegium herzlich willkommen geheißen. | Foto: Blindeninstitut Rückersdorf2022/09/24h-22-blindeninstitut-1.jpg

RÜCKERSDORF – Oberhalb des Rückersdorfer Bahnhofs auf dem Dachsberg erstreckt sich das weitläufige Gelände des Blindeninstituts. Die achtjährige Marie (Name geändert) nimmt uns mit auf einen Tag im Institut.

Inmitten von Bäumen und viel Grün befindet sich das Verwaltungsgebäude des Blindeninstituts, gegenüber das Schulgebäude. In einiger Entfernung liegen die sechs Wohngruppen, in denen zurzeit etwa 33 Kinder leben. Daneben befinden sich die 15 Tagesstätten-Klassen, in denen etwa 87 Kinder die Nachmittage verbringen. Bis zum Alter von 21 Jahren werden hier blinde, seh- und oft mehrfach behinderte junge Menschen pädagogisch und therapeutisch begleitet.

Ein Tag am Dachsberg

Wie Marie (Name geändert). Sie ist acht Jahre alt und wird morgens mit dem Bus zum Dachsberg gebracht. Kurz nach 8 Uhr kommt sie in der Klasse an. Bei ihr wurden neben der schweren Sehbehinderung – sie hat nur noch etwa 20 Prozent Sehvermögen – eine Entwicklungsverzögerung und Epilepsie festgestellt. Sie ist außerdem auf den Rollstuhl angewiesen.

Marie wartet im Klassenzimmer, bis alle angekommen sind. Einer der beiden Schulmitarbeitenden schaut im sogenannten „Elternbuch“ nach, ob ihre Eltern einen besonderen Vorfall notiert haben. Der Unterricht, der nun beginnen kann, hat unter anderem zum Ziel, ihre Sehfähigkeit zu fördern. Es wird mit kontrastreichen Bildern und Leuchtmaterialien gearbeitet, ebenso mit diversen Kommunikationsgeräten, Geräuschen und Gerüchen.

Gegen 10.30 Uhr gibt es Frühstück, das eine bis eineinhalb Stunden dauern kann. Denn nicht nur Marie kann nicht selbstständig essen, sondern auch die fünf weiteren Kinder in ihrer Klasse sind auf die Unterstützung der Mitarbeitenden angewiesen. Vor der Pause wird gepflegt: Das heißt Körperpflege oder individuelle, medizinische Versorgung.

Unterschiedliche Angebote am Nachmittag

Bevor die Schülerinnen und Schüler in ihre jeweiligen Tagesstätten-Gruppen gebracht werden, gibt es eine gemeinsame Abschlussrunde. Nach dem Mittagessen um 13.30 Uhr haben die Kinder Gelegenheit, sich auszuruhen. Marie hört in dieser Zeit gerne Musik, es kann aber auch gespielt werden.

Ab 14 Uhr werden allgemeine Freizeitaktivitäten wie Spazierengehen, Schwimmen oder Bewegung in der Turnhalle, Spiele oder Aktivitäten zur Körper- und Eigenwahrnehmung angeboten. Im Anschluss finden diverse Fördermöglichkeiten aus dem physiotherapeutischen, dem logopädischen und dem ergotherapeutischen Bereich Anwendung. Der Tag wird mit einem gemeinschaftlichen Ritual beendet, bestehend aus Musik oder einer Geschichte. Danach wird Marie wieder mit dem Bus nach Hause gebracht.

Familiäre Atmosphäre

Alisa Lerch ist eine der Heilerziehungspflegerinnen am Dachsberg. Sie hat eine Zusatzausbildung zur Rehabilitationsfachkraft im Bereich lebenspraktische Fähigkeiten gemacht und begleitet mit einer Kollegin sechs Kinder zwischen zehn und fünfzehn Jahren. Soziale Bindungen und die Herstellung einer Vertrauensbasis sind für die Fachkräfte ein wichtiger Bestandteil im Umgang mit den Kindern. Daher herrscht eine familiäre Atmosphäre in allen Klassen und Gruppen.

Alisa Lerch ist als Heilerziehungspflegerin am Blindeninstitut Rückersdorf beschäftigt. | Foto: Blindeninstitut Rückersdorf2022/09/24h-22-blindeninstitut-2.jpg

Wichtig ist die Etablierung fester Rituale, die vor allem auch für Kinder mit autistischen Störungen maßgeblich zur erfolgreichen Integration beitragen. Das Tagesprogramm ist darauf ausgelegt, den Kindern lebenspraktische Fähigkeiten zu vermitteln, und ist den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen angepasst.

Schultüte und Fahrradklingel zum Auftakt

Diese unterschiedlichen Bedürfnisse sind auch Torsten Nowitzki ein Anliegen. Seit über 20 Jahren kümmert sich der Studienrat im Förderschuldienst um den Musikunterricht im Blindeninstitut sowie um die hauseigene Musikgruppe Studio D. Er ist auch derjenige, der die Aktivitäten rund um die Einschulung vorbereitet. Bei dieser Feier, dem sogenannten Schultütenfest, sind natürlich die Eltern dabei, für die es oft nicht leicht ist, ihr Kind nun anderen anzuvertrauen. Die Schulanfänger werden einzeln in die Mitte geholt und von den Mitarbeitenden des Instituts begrüßt. Ein gemeinsames Lied wird gesungen, und als Symbol dafür, dass nun ein neuer Lebensabschnitt beginnt, bekommt jeder Schulanfänger eine Fahrradklingel.

Torsten Nowitzki unterrichtet seit über 20 Jahren in der Schule am Dachsberg. | Foto: Blindeninstitut Rückersdorf2022/09/24h-22-blindeninstitut-3.jpg

Einige der Neulinge kennen das Institut bereits, weil sie im Rahmen der sogenannten Frühförderung Sehen oder der schulvorbereitenden Einrichtung für Kinder im Vorschulalter (SVE) das Gelände am Dachsberg besucht haben. Während es für diese Kinder erfahrungsgemäß leichter sei, sich an die neue Lebensphase zu gewöhnen, könne es für die anderen bis zu einem halben Jahr dauern, berichtet Alisa Lerch. In der Zeit sei das Programm noch etwas ruhiger, es werde versucht, den richtigen Rhythmus zu finden, und vor allem müsse man die Fähigkeiten jedes Schützlings zunächst austesten.

Wahrnehmungsförderung und Horizonterweiterung

Was die Schule hier vermittle, sei Lebenserfahrung im weiteren Sinn, meint Musiklehrer Nowitzki. Die Schule entlasse später schließlich junge Erwachsene. So sei die Musik, die er anbiete, immer auch altersgerecht ausgewählt. Es gehe um Horizonterweiterung und Wahrnehmungsförderung. Die Kommunikation erfordere zwar Zeit und Geduld, neue Tools wie Sprachtasten und weitere digitale Kommunikationsgeräte eröffneten manchen Kindern aber neue Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Für diejenigen, die einen Rollstuhl benötigen, gebe es mittlerweile auch Hilfsmittel, die das Stehen oder sogar einige selbstständige Schritte erlauben. Da ein Team vier bis fünf Jahre für die Kinder zuständig sei, entstünden Bindungen, die für die Arbeit wichtig seien.

Und diese Arbeit sei auch manchmal traurig, vor allem im Fall des Todes eines Schützlings, so Torsten Nowitzki. Alles in allem sei der Dachsberg aber ein Ort, der Lebensqualität vermittle, ja eigentlich sei er ein Platz der Lebensfreude.

INFO

Insgesamt 152 Schüler
33 Kinder in den Wohngruppen
Insgesamt ca. 300 Mitarbeitende im Blindeninstitut Rückersdorf (Zusammengefasst aus Mitarbeitenden im Ressort Wohnen, aus der Tagesstätte, der Schule, der medizinischen Therapie, der Verwaltung, aus der Haustechnik, aus dem psychologisch-pädagogischen Fachdienst, aus der Hauswirtschaft und aus der Frühförderung.)
Gründung Blindeninstitut Rückersdorf: 1984; Neubau in Rückersdorf 1994
Institutsleitung: Daniel Boldt
Das Blindeninstitut Rückersdorf ist ein Standort der Blindeninstitutsstiftung (Hauptsitz Würzburg)

Blindeninstitut Rückersdorf
Dachsbergweg 1
90607 Rückersdorf
Telefon: (0911) 95 77 – 0
www.blindeninstitut.de

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