SCHWARZENBRUCK – Rund 25 000 Kilometer hat Erhard Schönhütl in diesem Jahr auf seinem Liegerad zurückgelegt. Das Besondere: Der 86-Jährige ist nach einem Sportunfall zu einhundert Prozent schwerbehindert und hat 34 Operationen hinter sich. Auch ein Schlaganfall und ein Gehirntumor hielten ihn nicht davon ab, seiner großen Leidenschaft nachzugehen: Dem Radfahren.
„Das Fahrradfahren ist einfach schon immer meine große Leidenschaft. Schon mit 14 Jahren habe ich mir mein erstes Rennrad zusammengebaut“, sagt Erhard Schönhütl gleich zu Beginn des Gesprächs. Im Wohnzimmer seines Hauses in Schwarzenbruck lodern Flammen im Kamin, brennende Holzscheite knistern und erwärmen den Raum auf angenehme Temperaturen. „Bei mir hat es immer zwischen 21 und 22 Grad“, sagt er zufrieden. Draußen hatte es tags zuvor pünktlich zu Winterbeginn zum ersten Mal geschneit, die Straßen in und um Schwarzenbruck werden vom Winterdienst von Schnee befreit.
Doch selbst winterliche Witterung hält den 86-Jährigen nicht davon ab, seiner Leidenschaft nachzugehen. „Ich versuche, täglich zwischen 80 und 120 Kilometer zu fahren“, bestätigt er. Von Januar diesen Jahres bis Anfang Dezember legte er exakt 24 110 Kilometer zurück, bis Ende des Jahres sollen es 25 000 Kilometer sein. Sein Fahrradcomputer zeichnet jeden gefahrenen Meter auf, im Anschluss fotografiert und dokumentiert Erhard Schönhütl seine absolvierten Strecken.
Beim diesjährigen Stadtradeln wurde Schönhütel vor wenigen Wochen vom Landratsamt zum Gesamtsieger gekürt, 2720 Kilometer ist er innerhalb von nur drei Wochen gestrampelt. Das Besondere daran: Erhard Schönhütl ist 86 Jahre alt und seit einem Sportunfall vor 46 Jahren zu 100 Prozent schwerbehindert. Lebensbedrohliche Krankheiten und unzählige Operationen zeichneten fortan seinen Weg.
Skiunfall als Beginn der Leidenszeit
Begonnen hat die schier unendliche Leidensgeschichte im Winter 1974: Bei einem Skiurlaub im schweizerischen Davos wurde der „sehr gute Skifahrer“, wie er selbst von sich sagt, von einem anderen Skifahrer über den Haufen gefahren. Schönhütl verlor die Balance und prallte gegen einen Stahlmast einer Liftananlage. „Dabei habe ich mir nicht nur die Schulter zertrümmert, sondern auch einen Schädelbruch zugezogen. Das Schlimmste aber waren die drei gebrochenen Rückenwirbel“, erinnert sich der Schwarzenbrucker an den tragischen Lebenseinschnitt. Von der Hüfte an abwärts gelähmt lag er drei Monate im Krankenhaus in Davos, ehe er nach Deutschland transportiert werden konnte. Weitere sechs Monate verbrachte er anschließend in Rummelsberg. „Die Ärzte haben mir damals gesagt, dass ich mein Leben lang gelähmt bleiben werde“, erzählt Schönhütl. Zu dieser Zeit hatte er bereits zwei Kinder und ein Metallbaugeschäft, mit dem er vor allem Wintergärten baute.
Es folgte eine wahre Odyssee an Operationen und Krankenhausaufenthalten. Ein Schlaganfall, ein Hirntumor mit mehreren operativen Eingriffen, der zerstörte Rücken und die kaputte Hüfte: Bis heute wurde Erhard Schönhütl sage und schreibe 34 Mal operiert. Allen voran die Rücken- und Hüftoperationen haben sichtbare Spuren hinterlassen. Röntgenaufnahmen zeigen, wie oft sich Ärzte bislang schon an seinem Körper zu schaffen gemacht haben. Sein unterer Rücken wurde mit Platten und Schrauben versteift, das rechte Hüftgelenk wurde gegen ein künstliches getauscht und ebenfalls versteift. Die Metallplatte, die von der Hüfte bis zum Kniegelenk reicht, erwähnt er nur nebenbei. So kann er heute nur noch kurze Wege zu Fuß bewältigen, überwiegend ist er auf den Rollstuhl angewiesen.
Schmerztabletten? Nein danke!
Aufgeben oder kürzertreten kommt für Erhard Schönhütl jedoch nicht in Frage. „Seit 20 Jahren habe ich keine einzige Schmerztablette mehr eingenommen“, beteuert er. Sollten die Beschwerden doch einmal größer sein, lege er sich auf sein Rad und fahre los. „Auf dem Rad an der frischen Luft geht es mir sofort besser“, sagt er. Ein Liegerad macht die Mobilität des Schwarzenbruckers möglich. Das Gefährt auf drei Rädern ist technisch hochwertig ausgestattet und verfügt über jede Menge Extra-Anfertigungen. „Das rechte Pedal ist breiter. So kann mein linkes Bein treten und das rechte Bein leichter mitgeführt werden“, erklärt er. Für den unterstützenden Motor hat er drei Akkus, die verkürzte Kurbel erleichtert die Übersetzung. Besonders stolz ist Schönhütl auf seine Lichtanlage. „Zu den beiden Standlichtern vorne werden bei einsetzender Dunkelheit automatisch zwei Scheinwerfer zugeschaltet“, erläutert er. Insgesamt dürfte sein Rad „10 000 Euro Wert sein.“
Zu seinen Lieblingsrouten zählt die Tour zu seinem Bruder nach Passau: Von Schwarzenbruck hinunter nach Kehlheim, an der Donau entlang weiter an die Grenze zu Österreich. Corona-bedingt sind derartige Touren seit einiger Zeit nicht mehr möglich, touristische Übernachtungen nicht mehr erlaubt. Nicht schön, aber auch kein allzu großes Problem für den 86-Jährigen, der seine täglichen Kilometer nun eben in der Heimat abspult. „Viele meiner Bekannten und Nachbarn denken, ich spinne. Aber das ist mir wurst“, gibt er nicht viel auf das, was andere Leute über ihn denken und sagen.
Ohnehin täten die Menschen gut daran, sich ein Beispiel an Erhard Schönhütl zu nehmen. An der großen Lebensfreude, die er trotz zahlreicher Schicksalsschläge noch immer versprüht. Am unbändigen Willen, Dinge zu vollbringen, die unmöglich erscheinen. Und an seiner bewussten Lebenweise, ohne die all das nicht möglich wäre. „Ich ernähre mich schon immer bewusst. Ich trinke und rauche nicht und nehme keine Tabletten. Außerdem esse ich viel Rohkost. Fleisch oder Wurst gibt es eigentlich nur, wenn ich einmal eingeladen bin“, sagt Schönhütl. So verwundert es nicht, dass der 86-Jährige bereits die nächsten Touren plant.
Das nächste Ziel heißt Südtirol
Eigentlich wollte er schon in diesem Jahr nach Meran in Südtirol aufbrechen. Corona machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Ich habe mich bereits informiert und mir schon einen Hänger für mein Gepäck ausgesucht. Zwei Taschen sollte ich auf diesen Trip schon mitnehmen“, blickt der Schwarzenbrucker voller Freude voraus und hofft, dass die Pandemie bis dahin wieder unter Kontrolle ist und er seine geplante Reise antreten kann. Denn seine große Leidenschaft, das Radfahren, lässt sich Erhard Schönhütl von nichts und niemandem nehmen. Erst recht nicht von einem Virus namens Corona.