Krisendienst des Jugendamts im Landkreis

Verlust des Sorgerechts ist die Ausnahme

Wenn Eltern mit der Erziehung überfordert sind und das Wohl der Kinder gefährdet ist, schaltet sich das Jugendamt ein. | Foto: DGLimages/Getty Images2021/04/Jugendamt-Sorgerecht-Symbolfoto.jpg

Nürnberger Land – Mit dem Krisendienst des Jugendamts haben Familien hauptsächlich dann zu tun, wenn ernste Probleme im Raum stehen, etwa bei alkohol- oder drogensüchtigen Eltern, die mit der Erziehung überfordert sind, oder bei Missbrauchsfällen. Amanda Müller, die Leiterin des Jugendamts im Landkreis, schilderte die Aufgaben des Krisendienstes im Jugendhilfeausschuss des Landkreises.


Wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls von Kindern bekannt werden, „sind wir verpflichtet, zu handeln“, so Müller. Allerdings heißt das zunächst nur, dass mehrere Mitarbeiter, in der Regel zwei, eine Situation unter die Lupe nehmen.


Nun kommt es darauf an, wie sich die Situation konkret darstellt. Gibt es glaubwürdige Berichte, dass eine Wohnung komplett vermüllt ist, ein Kind unterernährt ist oder geschlagen wird? Stammen die Aussagen von einem Lehrer oder Erzieher – oder von jemandem, der den Eltern womöglich schaden will, etwa ein Nachbar, mit denen sie im Clinch liegen? Geht es um einen akuten Fall oder liegt das Geschehen schon länger zurück? Wie drastisch sind die Vorkommnisse? „Es ist ein Unterschied, ob ein Kind mal eine Ohrfeige kriegt oder mit dem Gürtel geschlagen wird“, sagt Müller.


Man muss die Tür nicht öffnen


Je nach Fall folgt ein Beratungsangebot, manchmal aber auch ein sofortiger Hausbesuch. Häufig sei es aber nicht sinnvoll, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Wir wollen die Familien ja erreichen“, sagt Müller. Verpflichtet ist niemand, das Jugendamt in die Wohnung zu lassen. Allerdings kann in dem Fall das Familiengericht informiert werden. Dann kann eine persönliche Anhörung vor Gericht folgen.


Im Gespräch mit der Pegnitz-Zeitung schildert Müller einen Fall, den sie selbst vor ein paar Jahren erlebt hat: Ein Mann, der beruflich im Ausland lebte, machte sich Sorgen um das Wohlbefinden seiner beiden Söhne, die bei der Mutter lebten. Doch als das Jugendamt die Frau kontaktierte, reagierte diese nicht. Auf Post gab es keine Antwort, die Haustür machte die Frau nicht auf.


In so einem Fall verständigt das Jugendamt das Familiengericht. Letztlich kam Müller über diesen Weg in die Wohnung. „Katastrophe“, sagt sie, das Apartment sei völlig vermüllt und verschmutzt gewesen. Die Mutter ließ sich zunächst auf Hilfe ein, brach dann aber den Kontakt zum Amt ab. Erneut ging der Fall zum Familiengericht, der Frau wurden Teile des Sorgerechts entzogen.


Das Sorgerecht, sagt Müller, müsse man sich vorstellen wie eine Torte mit verschiedenen Stücken. Dazu gehören beispielsweise die Gesundheit des Kindes, die Schule, die Finanzen. Oft werde nicht das komplette Sorgerecht entzogen.


In diesem Fall kamen die Kinder der überforderten Frau bei Verwandten unter, sie hatte aber die Möglichkeit, sie zu besuchen und sich etwa um die schulischen Angelegenheiten zu kümmern, also die Hausaufgaben mit ihnen zu machen, denn da gab es keine Probleme. Der Fall ging gut aus, wie sich Müller erinnert. Die Frau, die eine psychiatrische Erkrankung hatte, ließ sich behandeln und bekam das Sorgerecht wieder. Mittlerweile ist sie weggezogen.

Kinder sollen bei den Eltern aufwachsen


Natürlich beschäftigen die Behörde auch aktuelle Fälle, etwa im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch, doch über diese spricht Müller nur ungern. Die Mitarbeiter des Jugendamts wollen schließlich Vertrauen zu den Betroffenen aufbauen und die Situation verbessern, statt jemanden bloßzustellen. „Letztendlich sollen die Kinder bei ihren Eltern aufwachsen“, sagt Müller.


Sie gibt auch zu, dass einen die bedrückenden Fälle schon einmal länger beschäftigen. „Man kann nicht unbedingt abschalten“, sagt Müller. „Man wacht nachts auf und fragt sich: Habe ich alles richtig gemacht?“ Sie selbst ist als Leitung nicht mehr im Außeneinsatz. Ihre rund 120 Mitarbeiter, darunter etwa 35 im allgemeinen Sozialdienst, hätten aber jederzeit die Möglichkeit, das Erlebte im Gespräch mit Supervisoren zu verarbeiten. „Jeder muss für sich eine Methode finden, wie er damit umgeht.“


Im Jahr 2020 gab es insgesamt 743 Meldungen an das Jugendamt aufgrund eines Verdachts auf Gefährdung des Kindeswohls. Rund ein Drittel der Fälle, so Müller, entpuppt sich als Nichtigkeit, in einem weiteren Drittel gibt es Beratungsbedarf und im letzten Drittel muss die Behörde wirklich eingreifen. Eine Inobhutnahme von Kindern, also das letzte Mittel, kam im vergangenen Jahr 39 Mal vor, der Wert sinkt seit Jahren.


Unausweichlich ist das immer, wenn ein Kind oder Jugendlicher das Amt selbst darum bittet, allerdings auch, wenn es etwa Hinweise auf sexuellen Missbrauch gibt oder darauf, dass ein Kind ins Ausland verschleppt werden soll.

Vater im Gefängnis, Mutter im Krankenhaus


Im Gespräch mit der Pegnitz-Zeitung erinnert sich Müller an einen Fall, in dem ein Mann seine Frau „halbtot geschlagen“ habe, er landete im Gefängnis, sie im Krankenhaus. Die zwölfjährige Tochter wollte gegen den eigenen Vater aussagen, doch die Familie wollte das verhindern und das Kind außer Landes bringen.

Das Mädchen vertraute sich einer Lehrerin an, die das Jugendamt informierte und die Zwölfjährige in Obhut nahm – auch gegen den Wunsch der Mutter. Für solche Fälle hat das Kinderschutzteam („KIST“) ein eigenes Auto, um notfalls sofort eingreifen zu können.


Viel Lob erhielt das Jugendamt in der Sitzung nicht nur von Landrat Armin Kroder, der seinen „allerhöchsten Respekt“ vor der teilweise heiklen Arbeit ausdrückte. Auch die Familienrichterin Andrea Engelhardt vom Amtsgericht Hersbruck nutzte die Sitzung, um sich für die „tolle Arbeit“ zu bedanken. Das Jugendamt sei „ganz nah dran an den Familien“, dabei werde die Arbeit immer anspruchsvoller. Dass die Zahl der Inobhutnahmen rückläufig sei, liege daran, dass das Amt immer mehr Zeit in die Betreuung der Familien stecke.


Psychische Auffälligkeiten nehmen zu


Auch auf die Folgen der Pandemie für das Wohl der Kinder ging Müller in der Sitzung ein. Sie zitierte eine bundesweite Studie, deren Erkenntnisse sich auch im Landkreis beobachten ließen: Psychische Auffälligkeiten bei Kindern nehmen zu, das gilt sowohl für Depressionen als auch für aggressives Verhalten. Auch Drogenkonsum wird mehr und mehr ein Thema. Betroffen seien vor allem ärmere Familien und solche mit Migrationshintergrund.


Beate Merkel, Sachbereichsleitung Jugendsozialarbeit an Schulen, ergänzte, dass das Cybermobbing in den vergangenen Monaten zugenommen hat. Den Schülern falle es zudem schwerer, sich zu motivieren. Viele haben die Sorge, wichtigen Schulstoff zu verpassen.


Auch sorgt die beengte Situation zu Hause, etwa aufgrund von Distanz­unterricht, für mehr Reibungspunkte in der Familie. Für Probleme sorgen die Einschränkungen des sozialen Lebens längst nicht nur dort, wo das Jugendamt schon vorher genau hingeschaut hat. „Auch Familien, wo es ganz normal läuft, kommen an ihre Grenzen“, so Merkel über die Pandemie-Folgen.

Nichts Neues verpassen! - Newsletter abonnieren