HERSBRUCK / OFFENHAUSEN / HARTENSTEIN – Die Standpunkte in Sachen TTIP könnten unterschiedlicher nicht sein: „Von einem solchen Abkommen sind signifikante Wohlstandsgewinne zu erwarten”, sagt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Meine Nackenhaare stellen sich auf und mein Misstrauen wächst, wenn ich den Befürwortern zuhöre“, ist Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman empört. Als die Gewinner, die TTIP unterstützen, gilt die Industrie. Auch die heimische?
„Für uns wird TTIP kaum spürbar sein“, sagt Alexander Fackelmann klipp und klar. Als Chef des gleichnamigen Hersbrucker Haushaltswaren- und Badmöbelunternehmens und Diplom-Volkswirt ist er wirtschaftlich sehr interessiert und ein „Fan des freien, aber fairen Handels“, der für ihn eine Wohlstandsmehrung bedeutet. TTIP bewertet Fackelmann daher als „sehr positiv“ – wie ein bisschen Salz in der Suppe. „TTIP ist Chance. Auch für die Hersbrucker Schweiz“, pflichtet Dr. Wolfgang Schütt von Eckart in Hartenstein, dem weltweit führenden Hersteller von Metallic- und Perlglanz-Pigmenten für die Lack- und Farbenindustrie, die grafische, die Kunststoff-, die Porenbeton- sowie die Kosmetikindustrie, bei.
Fast schon nüchtern wirkt dagegen Dauphin-Geschäftsführer Dr. Jochen Ihring: „Wir gehen hier von geringen Auswirkungen für unser Unternehmen aus.“ Der Bürostuhl-Hersteller aus Offenhausen ist seit 21 Jahren mit eigener Niederlassung und Produktionsstätte in New Jersey vertreten. Denn „der amerikanische Markt ist unabhängig von TTIP der größte Bürostuhlmarkt der Welt und entsprechend attraktiv für unser Unternehmen.“
Exportsteigerung
Einig sind sich die Herren bei diesem Thema: TTIP wird sicher kein Hindernis für ein Exportplus sein, denn alle Firmen sind exportorientierte Unternehmen. Ihring rechnet aber beispielsweise nicht mit einem zu großen Effekt, da Dauphin ja bereits mit einem Werk in den USA, das nach amerikanischen Standards zertifiziert ist, vor Ort ist und „dadurch auch an amerikanischen Ausschreibungen teilnimmt“, um so Lieferzeiten einhalten zu können: „Unsere Branche muss lokal agieren.“ Etwas anders sieht das Schütt, dessen Unternehmen – das zum Konzern Altana gehört – „signifikante Umsätze in der bereits existierenden Freihandelszone NAFTA zwischen Kanada, Mexiko und den USA“ erwirtschaftet. Der Abbau von Zöllen und bürokratischen Hürden sei daher nicht zu unterschätzen. In Zahlen kann er das aber noch nicht fassen.
Zölle
Generell hält Fackelmann Zölle für „volkswirtschaftlich schädlich“. Dennoch muss er im Falle TTIP eingestehen, dass die angeführte Senkung der Zölle als Argument nicht gezählt werden kann: Sie seien jetzt schon gering und für die Hersbrucker „sehr verträglich“. Hier widerspricht Schütt deutlich: „Auch wenn die Zollsätze niedrig erscheinen, so summieren sich die Zölle der deutschen und amerikanischen chemischen Industrie im Export in die jeweils andere Region auf über eine Milliarde Euro.“ Er hat dabei nicht nur das Monetäre im Kopf, sondern auch den noch herrschenden bürokratischen Aufwand, und denkt dabei an die Abschaffung der Grenzkontrollen in den 70ern und 80er: Der freie Warenverkehr führte zu einer enormen Sonderkonjunktur – auch in Deutschland.
Wettbewerbsfähigkeit
„Wir haben vor den Amerikanern in Sachen Konkurrenz überhaupt keine Angst“, gibt Fackelmann ein selbstbewusstes Statement ab. Er sieht durch den Abbau tarifärer Handelshemmnisse nur Chancen für das Unternehmen. Auch Ihring macht sich da wenig Sorgen, fasst er doch eher die Konkurrenz aus Fernost ins Auge, die nämlich „in der Regel nach amerikanischem Standard zertifiziert ist (dem Hauptmarkt) und für die es einfacher wird, nach Europa zu exportieren, ohne zusätzliche Zertifizierungen liefern zu müssen“.
Qualitätsstandards / Doppelarbeit
Zugeben muss Fackelmann, dass mit TÜV und Verbraucherschutz die Bestimmungen „deutlich strenger“ sind als in den USA: „Das ist wie bei uns vor zehn Jahren“, erklärt er. Für den Hersbrucker Firmenchef neigt der Schutz hierzulande zur (teils teuren) Übertreibung: „Der Verbraucher ist mündig und kann doch selbst entscheiden“, ob er ein US- oder EU-Produkt wähle. Zumal die Staaten ja kein Ramsch produzierendes „Billig-Lohn-Land“ seien. Laut Fackelmann werde dort eben „marktwirtschaftlicher gedacht und agiert“. Er weiß, dass aufgrund verschiedener Zulassungsbestimmungen weltweit seine Produkte zehn bis 15 Prozent teurer werden können… – nur für mehr Verbraucherschutz: „Nutzt das wirklich?“
Diese Frage stellt Ihring nicht; entscheidend ist für ihn, dass die „Qualitätsstandards GS-Zeichen im Vergleich zu amerikanischen Herstellerverband BIFMA heute bereits sehr ähnlich“ sind – also kein Argument pro oder contra TTIP seitens der Büromöbelbranche. Für die Eckart-Werke jedoch, die Verpackungsteile für die Lebensmittelindustrie liefern, bzw. Europa bietet TTIP laut Schütt die Chance, sich aus „dem nationalen, manchmal sogar regionalen Kleinklein“ der Regeln in der Nahrungsmittelindustrie zu befreien und für einheitliche, klare, verbindliche Regeln in der Nahrungsmittelbranche zu sorgen.
Patentschutz
Nicht ganz so entspannt hört sich Fackelmann beim Thema Markenrechte an: „Champagner sollte schon aus der Champagne sein“. Fackelmann hat nämlich selbst viele Patentschutzrechte im Haus, bei denen die Amerikaner zu etwas lockerer Handhabung neigen, sagt er. „Dagegen haben sie starke Urheberrechte“, wägt er ab. Er meint, dass Kompromisse für einen freien Handel nötig sind. „Wir müssen uns einfach über die entsprechenden Rechte informieren.“
Interner EU-Handel
Ob TTIP positiv für Europa sein kann, weil sich Umwelt-, Sicherheits- und Qualitätszertifizierungen angleichen? „Ja, da stimme ich zu“, sagt Fackelmann ohne Umschweife. Kein Wunder, so kann er davon berichten, dass selbst in den Bundesländern verschieden geprüft wird: Eine Backform muss 220 Grad aushalten – doch wie lange, ist verschieden. „Diese Bürokratie behindert uns in Deutschland wie in der EU“ – und kostet Testreihen, Zeit und Geld.
Ähnlich sieht es auch Ihring: „Wenn TTIP zu einer Vereinheitlichung führt, wäre das sicherlich ein Vorteil für uns.“ Dennoch ist ihm bewusst, dass trotz offiziell gleicher Regeln weiterhin landesspezifische Themen relevant bleiben werden. Unter diesen Regulierungen der Bundesländer leidet Eckart besonders im Bereich „Graphische Industrie“. „TTIP könnte in der Tat den Handlungsdruck erhöhen, sich auf gemeinsame Standards zu einigen. Wichtig ist aus meiner Sicht der Fakt, dass Standards der europäischen und amerikanischen Industrie in der Vergangenheit in vielen Ländern Asiens übernommen wurden, was uns deutliche Vorteile im Export brachte.“ Schütt denkt dabei vor allem an Maschinenbau, Elektro- und Automobilindustrie.
Produktionsverlagerung
Auch wenn Nordamerika in Sachen Personal- und Energiekosten Vorteile durch niedrige Löhne hat, Gedanken an eine Verlagerung in die Staaten verschwendet Schütt keine: „Eckart hat drei Standorte in den USA.“ Außerdem will das Unternehmen nahe am Kunden sein, um die Bedürfnisse besser zu verstehen und schnell umzusetzen. Dennoch verhehlt er nicht, dass die Personal- und Energiekosten bei Eckart entscheidende Positionen sind und bei Neuinvestitionen eine wichtige Rolle spielen, zumal der energieintensiven Firma in den letzten Jahren schrittweise die Befreiung von der EEG-Umlage entzogen wurde – „ein Kostennachteil, der unsere Profitabilität und damit Wirtschaftskraft massiv schwächt“.
Blockbildung zu Asien
In diesem Bereich wittert Schütt das größte Plus von TTIP, der meint, dass eine Wettbewerbsverbesserung Eckart auch in Asien helfen würde. Vor allem aus einem Grund: Haben die Asiaten früher Standards aus dem Westen übernommen, droht diesem nun dieses Schicksal aufgrund der aufkommenden Freihandelszonen Asiens. „TTIP ist eine einmalige Chance, dass Europa und Nordamerika gemeinsame Standards setzen, die nach Asien exportiert werden könnten“, orakelt Schütt. Europa sei heute aufgrund der Kaufkraft zwar ein wichtiger Markt – aber ein kleiner, verglichen mit mehreren Milliarden Menschen Asiens, die immer konsumfreudiger werden: „Wir müssen aufpassen, nicht an den Rand gedrängt zu werden.“
Chance oder Risiko?
„Selbstverständlich sollte man immer Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen“, äußert sich Schütt diplomatisch. Er findet aber, dass die Deutschen oftmals zu sehr Bedenkenträger sind und das Glas halbleer und nicht halbvoll sehen – zwischen den Zeilen heißt das: pro TTIP. „Grundsätzlich ist der Abbau von Handelshemmnissen positiv zu werten, da wir, wie viele andere deutsche Unternehmen auch, stark im Export engagiert sind“, fasst Ihring zusammen. Auch für Fackelmann ist TTIP in erster Linie eine Chance, denn es gibt andere Szenarien, die ihm mehr Albträume bereiten: Ukraine-Krieg, Finanzcrash, Weltwirtschaftskrise.