SCHNAITTACH/HARTMANNSHOF — Die brutale Tat hat die Menschen in Hartmannshof erschüttert: Am 28. September tötete Daniel S. (Namen von der Redaktion geändert) aus Schnaittach in dem kleinen Ort im östlichen Landkreis seine Freundin mit mehreren Messerstichen. Ein entsetzliches Verbrechen – und eines, das sich ankündigte, meint die Mutter des Täters. Sie hatte sich im Vorfeld hilfesuchend an Polizei, Behörden und einen Arzt gewandt. Doch offenbar erkannte niemand den Ernst der Lage.
Rosa S. sucht bewusst den Weg an die Öffentlichkeit. Sie erzählt ihre Geschichte, weil sie hofft, dass ihr Schicksal anderen Familien erspart bleibt, weil sie wachrütteln will und weil sie nicht verstehen kann, dass ihr niemand geholfen hat. Dabei möchte sie ihren Sohn aber keinesfalls aus der Verantwortung für die schreckliche Tat nehmen. Mit einer Offenheit, die erschauern lässt, berichtet die gepflegte, blonde Frau von ihrem Sohn Daniel, von seinen Wahnvorstellungen, die den 28-Jährigen immer wieder ausrasten ließen, von seiner Drogensucht und auch von den Minuten unmittelbar nach der Tat, als Daniel sie anrief und ihr monoton mitteilte: „Mama, ich habe gerade die Sandra umgebracht.“
„Ein bisschen schwierig“ sei ihr Sohn schon immer gewesen, erinnert sich die 52-Jährige. In der Schule etwas hinterher, aber andererseits „ein ganz lieber Junge“. Als Daniel 16 ist, schießt ihm ein Kumpel versehentlich mit dem Luftgewehr ins Auge. Die Kugel kann nicht entfernt werden, Daniel S. bleibt auf einem Auge blind. „Vor einigen Jahren hat er plötzlich eine völlig verfaulte Tamponade abgehustet, die vermutlich bei der Operation damals vergessen wurde“, erzählt Rosa S. Hat diese möglicherweise fatale Prozesse im Gehirn ausgelöst? Epileptische Anfälle stellen sich ein, wegen derer Daniel beim Neurologen behandelt wird. Seine „Ausraster“ allerdings nehmen zu: Vor drei Jahren geht er grundlos auf seine jüngere Schwester los und droht, sie tot zu beißen. Als er im Alkoholrausch seine frühere Freundin bedroht, verbringt er eine Nacht in Polizeigewahrsam.
Trotzdem schafft es Daniel S. im Februar dieses Jahres, seine Lehre als Zierpflanzengärtner abzuschließen. „Da war ich richtig stolz auf ihn“, sagt Rosa S. Danach jedoch wird Daniel S. arbeitslos, etwa zur gleichen Zeit beginnt er eine Beziehung mit Sandra V. aus Hartmannshof. Nun verschlimmern sich seine Wahnvorstellungen. „Er hat mir und meiner Tochter unterstellt, wir würden anschaffen gehen. Und er hat behauptet, die Sandra wäre von Menschenhändlern gekauft worden. Er war rasend eifersüchtig auf ihre männlichen Freunde.“ Rosa S. bekommt mit, dass Daniel Drogen nimmt, „Crystal“ ist wohl im Spiel, eine gefährliche synthetische Modedroge. Die Mutter fragt ihren Hausarzt um Rat, doch der kann ihr nicht weiterhelfen.
Ende August dann, ziemlich genau einen Monat vor der Tat, rastet Daniel völlig aus. Er läuft mit einem Beil durch das Schnaittacher Mehrfamilienhaus, in dem neben ihm noch seine Mutter, seine Schwester und seine Oma leben, und droht, seine Schwester umzubringen. Dann flüchtet er aus der Wohnung. „Ich habe die Polizei angerufen und gebeten, dass die etwas unternehmen, weil mein Sohn eine Gefahr für sich und andere ist“, beteuert Rosa S. Doch es sei nichts passiert, sie habe vielmehr den Eindruck gehabt, man nehme sie nicht ernst. Bei der Polizei dagegen bestreitet man auf Nachfrage der PZ diesen Anruf: „Einen Anruf der Mutter gab es zu diesem Zeitpunkt definitiv nicht“, so der Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Wolfgang Träg, nach Rücksprache mit der Einsatzzentrale in Nürnberg.
Rosa S.’ Lebensgefährte greift Daniel einige Stunden später in Lauf auf. Er hat sich selbst mit dem Beil am Finger verletzt, ist aber wieder bei klarem Verstand. „Ich bin mit ihm ins Café und wir haben sogar über eine Drogentherapie gesprochen.“
Doch seinen guten Vorsatz setzt Daniel nicht in die Tag um. Am 27. September, am Vorabend des Mordes, kommt es in Schnaittach zu einem Streit zwischen ihm und einem Freund seiner Schwester. Daniel ist betrunken, schubst den Bekannten und provoziert ihn. Rosa S. ruft erneut die Polizei. Als die zwei Beamten am Haus der Familie eintreffen, hat sich die Situation scheinbar beruhigt. „Herr S. wirkte alkoholisiert, war aber einsichtig und kooperativ“, betont der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Lauf, Benno Eichinger. Zwar habe die Mutter den Polizisten gegenüber frühere Exzesse des Sohnes angesprochen und dabei auch den Beil-Vorfall erwähnt, „doch in der konkreten Situation hatten wir keine Handhabe, etwa für die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik“.
Eine solche Maßnahme kann normalerweise nur die Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ am Landratsamt anordnen. Ist diese nicht erreichbar – etwa am Abend oder am Wochenende – müssen die Polizisten entscheiden, ob triftige Gründe für eine Einweisung vorliegen. „Das geht nur bei einer akuten Selbst- oder Allgemeingefährlichkeit und die lag an jenem Abend einfach nicht vor“, so Benno Eichinger. Die Beamten raten Rosa S. aber noch, sich mit dem Gesundheitsamt in Verbindung zu setzen. Bei der Mutter bleibt ein klammes Gefühl: „Ich wollte, dass sie ihn mitnehmen.“
Daniel S. geht ins Bett, seine Mutter und seine Schwester aber sperren sich aus Angst zusammen im Schlafzimmer ein. Rosa S. ruft Daniels Freundin Sandra an, zu der sie ein gutes Verhältnis hat, um sie zu warnen. „Außenstehende haben einfach nicht mitbekommen, wie gefährlich er war, weil seine Ausraster nie lang dauerten und er danach immer wieder völlig normal wirkte. Sogar nett und zurückhaltend“, beschreibt die Altenpflegehelferin ihren Sohn. „Doch manchmal war er eben wie ein Monster“, sagt sie und ihre Stimme wird leise. Deshalb schlief sie selbst zuletzt mit einem Messer im Nachtkästchen.
Am nächsten Morgen telefoniert Rosa S. mit dem Gesundheitsamt in Lauf. Die Mitarbeiterin bietet an, in nächster Zeit zu einem Hausbesuch vorbeizukommen. „Die Anruferin war ruhig, keinesfalls in Panik. Eine akut kritische Lage war nicht erkennbar“, so Rolf List, Pressesprecher des Landratsamtes.
Als Daniel an diesem Tag aufwacht, legt er sich kurz zu seiner kranken Schwester ins Bett, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und fragt: „Geht’s dir schlechter als mir?“ Er will nach Nürnberg zu einer Bekannten, doch stattdessen fährt er nach Hartmannshof, wo er seine Freundin Sandra am späten Nachmittag wie im Rausch mit unzähligen Messerstichen tötet. Per Handy verständigt er anschließend selbst die Polizei … und seine Mutter.
Seitdem sitzt Daniel S. in der Nürnberger Justizvollzugsanstalt in Untersuchungshaft. Für seine Mutter ist nichts mehr wie vorher. Sie befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung, „zum Einkaufen habe ich mich in Schnaittach seitdem nicht mehr getraut“. Zu groß ist die Furcht, dass die Menschen mit dem Finger auf sie zeigen, hinter ihrem Rücken tuscheln. Ihren Sohn hat sie schon mehrfach im Gefängnis besucht: „Ich lasse Daniel nicht im Stich, aber ich will, dass er für immer weggesperrt wird und jetzt endlich die Hilfe bekommt, die er braucht.“