Schnaittacher Jugendhilfezentrum hat Wohngruppen-Bau eingeweiht

Ein Zuhause auf Zeit im neuen „Agneshaus“

Mädchen und Betreuerinnen unterhalten sich im geräumigen Wohnzimmer des „Agneshauses“. Die Couch und weitere Möbel bieten hier viel Platz. | Foto: Kirchmayer2017/10/Caritas-Jugendhilfezentrum-Schnaittach-Wohnzimmer.jpg

SCHNAITTACH — Wenn die Eltern überfordert sind, bei Gewalterfahrungen und zum Schutz vor sexuellem Missbrauch werden Mädchen aus ganz Bayern im Jugendhilfezentrum der Caritas in Schnaittach betreut. Im neu errichteten, 4,5 Millionen Euro teuren „Agneshaus“ haben 15 Jugendliche jetzt ein geräumiges Zuhause auf Zeit.

Wandtattoos mit Sprüchen von Goethe, eine große gemütliche Couch samt Flachbildfernseher und eine moderne Gemeinschaftsküche. Was
wirkt wie eine schicke Studenten-WG, ist für sieben Mädchen zwischen elf und 17 Jahren aus ganz Bayern eine zweite Chance – eine von zwei Wohngruppen im neuen „Agnes­haus“.

Zu Hause konnten die Jugendlichen aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bleiben. Weil die Eltern Alkoholiker sind, weil die alleinerziehende Mutter völlig überfordert ist, weil der Vater sich an ihnen verging. „Viele Mädchen hier wurden sexuell missbraucht oder haben Gewalt erfahren“, sagt Willibald Neumeyer, der Leiter des Caritas-Jugendhilfezentrums in Schnaittach.

Seit 1925 im Markt

Schon seit 1925 werden im Velhorn-Schloss in der Marktgemeinde Kinder und Jugendliche betreut. Im Lauf der Zeit ist der Gebäudekomplex der Caritas vor Ort immer größer geworden. 350 junge Menschen werden von Schnaittach aus betreut, der größte Teil ambulant. Vor Ort sind es rund 100, davon Kinder in Tagesgruppen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und 51 Mädchen in Wohngruppen.

Zwei dieser Wohngruppen waren bisher in einem Gebäude aus den 1950er Jahren untergebracht. Doch „die Räumlichkeiten waren sehr eng und begrenzt“, sagt Neumeyer, im Brandschutz wie bei den sanitären Einrichtungen genügte der Altbau nicht mehr modernen Standards. So entschied sich der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche dazu, das alte Gebäude abzureißen und an gleicher Stelle als Anbau des Schlosses ein neues zu errichten.

Willibald Neumeyer, hier in einer der neuen Küchen, leitet die Einrichtung. | Foto: KIrchmayer2017/10/Caritas-Jugendhilfezentrum-Schnaittach-Kuche-mit-Heimleiter-Lehmeyer.jpg

 

Während sich der Außenbereich immer noch als Baustelle präsentiert, sind die Arbeiten am und im Gebäude seit Sommer abgeschlossen. Statt des gesamten Stockwerks teilen sich jetzt je zwei Mädchen ein Badezimmer, es gibt WLAN und vor allem erheblich mehr Platz: 480 statt der bisher 280 Quadratmeter stehen den Mädchen im „Agnes­haus“ jetzt zur Verfügung.

4,5 Millionen Euro hat der Neubau, der kürzlich von Erzbischof Ludwig Schick eingeweiht wurde, gekostet. Ein Teil der Summe, nämlich 500 000 Euro, kommt von Sternstunden, einer Benefizaktion des Bayerischen Rundfunks, den Rest bezahlen die Caritas und das Erzbistum Bamberg.

Blick zum Rothenberg

Jacqueline Fischer lebt seit drei Jahren im Jugendhilfezentrum. Die 17-Jährige freut sich über die neuen, modernen Räume. „Es ist heller, man hat mehr Möglichkeiten, mit der Gruppe etwas im Haus zu unternehmen. Man hat auch eine schöne Aussicht“, so Fischer. Vom Balkon der Wohngruppe im zweiten Stock geht der Blick über Schnaittach und zum Rothenberg. Auch das WLAN sei eine klare Verbesserung.

Der Alltag der Mädchen findet größtenteils im vertrauten Umfeld statt und ähnelt dem ihrer Altersgenossinnen in Familien. Sie frühstücken zusammen – je eine ist zum Frühstückmachen eingeteilt – und besuchen danach entweder eine Förderschule, die zum Gebäudekomplex der Caritas in Schnaittach gehört, die Realschule oder das Gymnasium in Lauf oder machen eine Berufsausbildung. Nach dem gemeinsamen Mittagessen in der Wohngruppe steht Hausaufgabenmachen auf dem Programm.

Fürs Hausaufgabenmachen gibt es einen eigenen Raum. | Foto: Kirchmayer2017/10/Caritas-Jugendhilfezentrum-Schnaittach-Hausaufgaben.jpg

 

Danach können die Mädchen den Tag verbringen, wie sie möchten. Einkaufen, ins Kino gehen, Sport. Wie frei sie sich in Schnaittach und darüber hinaus bewegen dürfen, ist abhängig vom jeweiligen Alter und dem eigenen Verhalten. „Es gibt ein wenig mehr Regeln“, sagt Neumeyer, „aber es ist kein Gefängnis.“ Um 22 Uhr ist in der Regel Bettruhe. Für Ältere sei am Freitag aber auch mal ein Disco-Besuch in Nürnberg drin, versichert der Leiter.

Mehrere Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen sind im Schichtdienst für die Mädchen zuständig, dazu kommen Psychologen und Therapeuten. Insgesamt 160 Mitarbeiter beschäftigt die Caritas in Schnaittach.

Für die Bewohnerinnen ist das „Agneshaus“ ein Zuhause auf Zeit. „Das Ziel wäre, dass die Mädchen im Schnitt nach zwei oder drei Jahren wieder nach Hause in die Familien gehen können“, sagt Neumeyer. Meistens klappe das. Wenn es aber nicht möglich ist, etwa wegen gewalttätiger Eltern, bleiben die Mädchen vor Ort, bis sie mit 17 oder 18 in eine Wohnung in Lauf oder Nürnberg ziehen. Dort werden sie von der Caritas weiter ambulant begleitet.

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