NÜRNBERGER LAND – Wer zum 30. September sechs Jahre alt ist, gilt in Bayern als schulpflichtig. Bis jetzt. Denn Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) will halten, was er im Wahlkampf versprochen hat: mehr Flexibilität und Entscheidungsfreiheit für die Eltern. Im Grundsatz befürworten das auch die hiesigen Verantwortlichen. Ihnen geht die Einführung jedoch zu schnell.
Piazolo plant, den Stichtag 30. September durch einen Einschulungskorridor zu ersetzen: Bei Kindern, die zwischen 1. Juli und Ende September eines Jahres ihren sechsten Geburtstag feiern, sollen künftig die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind in die Schule schicken oder noch ein Jahr im Kindergarten belassen. Die bayerischen Eltern dürfte Piazolo mit dieser Neuerung hinter sich wissen. So hatten im vergangenen Jahr mehr als 20 000 Menschen die Online-Petition „Stoppt die Früheinschulung!“ einer Münchner Mutter unterzeichnet.
Laut Kultusministerium hat sich die Staatsregierung am vergangenen Freitag für eine entsprechende Gesetzesänderung ausgesprochen. Schon für das kommende Schuljahr könnte der Korridor gelten. Das geht vielen zu schnell. Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), sprach in einem Interview mit dem BR von einem „Schnellschuss“ und forderte einen Aufschub bis 2020. Das sehen hiesige Verantwortliche ganz ähnlich. Mehrere Grundschulleiterinnen aus dem Verbreitungsgebiet des Boten begrüßen die Flexibilisierung grundsätzlich. Hinter vorgehaltener Hand aber bezeichnet man die Einführung in diesem Herbst als „Hopplahopp-Verfahren“. Schließlich halten die Grundschulen in diesen Tagen bereits Informationsabende, im März beginnt die Anmeldung, danach gehen die Schülerzahlen an das Schulamt, das wiederum die Klassenstärke festlegt und die Zahl der benötigten Leherer beim Ministerium anfordert. Eine der Schulleiterinnen fürchtet bei einer raschen Umsetzung „Fehler, die wir in den kommenden Jahren ausbaden müssen“. Zudem findet sie es skandalös, dass sie vom Vorstoß aus den Medien erfahren musste und bis heute keine offizielle Mitteilung des Ministeriums erhalten habe.
Unsicherheit an den Schulen
Diese Unsicherheit hat auch das Schulamt im Nürnberger Land erreicht. Dessen Leiter Joachim Schnabel begrüßt die Flexibilisierung ebenfalls, wünscht sich nun aber eine rasche Entscheidung und damit Planungssicherheit für das Schuljahr 2019/20. Er verweist auf das bisher geltende Prozedere, nach dem Eltern ihre sechsjährigen Kinder auch heute schon zurückstellen lassen können – mit ärztlichem Attest und Zustimmung der Schulleitung. Im Nürnberger Land werden jährlich fünf bis zehn Prozent der Schüler zurückgestellt. „Es gibt aber Schulen mit bis zu 20 Prozent, das ist extrem viel“, sagt Schnabel. Bei solch ausgeprägten regionalen Schwankungen mag er nicht abschätzen, ob Eltern ihre Kinder künftig länger im Kindergarten belassen wollen. Mehr Mitspracherecht für Eltern birgt jedenfalls Vor- wie Nachteile, meint Schnabel, ohne detailliert darauf eingehen zu wollen. „Der freie Wille der Eltern ist in den allermeisten Fällen das Beste für das Kind, aber nicht in allen“, meint besagte Schulleiterin dazu. So gibt es auch Elternteile, die nicht loslassen können und ihr Kind deswegen nicht einschulen möchten. Oder solche, die ihr Kind so bald als möglich in die Schule bringen möchten und es damit überfordern. „Kann das Kind in der Schule Erfolg haben?“, ist laut Schnabel die Frage, die es zu beantworten gelte.
Wird es eng im Kindergarten?
„Ein zusätzliches Jahr im Kindergarten schadet sicher nicht, der Stress kommt früh genug“, sagt Benjamin Hradek, der Leiter des AWO-Kinderhauses Schatzkiste in Feucht. Er begrüßt die Aufgabe des Stichtags, da sechsjährige Kinder in ihrer Entwicklung auf ganz unterschiedlichem Stand seien. Das zeige deren Verhalten im Vorschulunterricht deutlich.
Für das kommende Schul- beziehungsweise Kindergartenjahr haben an seiner Einrichtung die Eltern von vier der 18 betreuten Kinder eine Zurückstellung beantragt. Mit diesen Angaben hat Hradek geplant und seine Plätze für September bereits fest vergeben. Nur zwei Plätze Puffer bleiben ihm. Kommt die Flexibilisierung nun schon 2019, könnte ihn das in Bredouille bringen. „Wenn dann nicht vier, sondern plötzlich zwölf unserer 18 Kinder zurückgestellt werden, dann haben wir ein Problem.“ Einerseits fehlten dem Kinderhaus dann die Kindergartenplätze, andererseits blieben Hortplätze unbesetzt. In den Schulen könnte es dann im Folgejahr eng werden, ehe sich die Zahlen wieder einpendeln. „Für die Kinder wäre die Flexibilisierung eine super Sache“, meint Hradek abschließend, „aber ein Jahr mehr Zeit für die Umsetzung wäre schön“. So sehen dies auch befragte Schulleiterinnen und Schulamts-Leiter Schnabel. Sie wünschen sich Gespräche mit allen Beteiligten, um Abläufe und Termine abzustimmen und sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise zu einigen.
Am Freitag will Piazolo Details zum Einschulungskorridor bekanntgeben. Danach muss der Landtag die Gesetzesänderung noch beschließen.