HERSBRUCK – Seit gut einem Jahr arbeiten immer mehr Menschen von zu Hause aus. So mancher könnte da denken: „Wieso weiter in der überfüllten, engen Großstadt wohnen?“ Das Umland und Kleinstädte wie Hersbruck könnten durchaus von den Auswirkungen der Pandemie profitieren – aber die Kommunen müssen auch etwas dafür tun, weiß Stadtplanerin Christa Heckel aus Hersbruck.
Firmen werden sich auch nach der Pandemie nicht komplett vom Homeoffice verabschieden. Wird sich dadurch der Trend der leeren Stadtzentren und der Belebung der Vororte und ländlichen Regionen noch verstärken?
Bisher sieht man das noch nicht. In Nürnberg ist die Nachfrage nach Wohnraum weiterhin hoch, hier wird der Zuzug eher dadurch gebremst, dass es zu wenig Angebot gibt, wodurch wiederum das Umland profitiert. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass durch den Trend zum Homeoffice der Fokus stärker auf dem Umland liegen wird und Immobilien dort attraktiver werden.
Können sich also Kleinstädte wie Hersbruck und ländliche Regionen als Gewinner dieser Entwicklung sehen?
Das ist durchaus denkbar, alleine wenn man sieht, was an einem schönen Wochenende am Stausee los ist. Der Run aufs Umland ist schon jetzt stark, Stadtbewohner sehnen sich nach mehr Platz und Natur. Zudem haben die Immobilienpreise in Großstädten weiter angezogen. Zwar können auch Kleinstädte nicht einfach Bauland aus dem Boden stampfen, aber dort geht es meist schneller. Der Immobilienmarkt hat allgemein sehr lange Reaktionszeiten.
Was müssen ländliche Regionen tun, damit dieser Effekt nicht verpufft?
Das primäre Ziel sollte nicht sein, immer neue Flächen auszuweisen, sondern sich erst mal anzuschauen, welchen Bestand man schon hat. In den 70er Jahren sind beispielsweise viele Bauten entstanden – hier könnte nachverdichtet werden. Dazu gehört auch, Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäuser schon jetzt darauf vorzubereiten, was sich in Zukunft ändern könnte. Die Eigentümerwechsel werden zunehmen – da sollten Kommunen einen Plan haben, was genutzt werden kann und was nicht.
Und mit Blick auf die Zentren der Kommunen und Kleinstädte?
Dort geht es vor allem darum, Aufenthaltsqualität zu schaffen, zu erhalten oder zu steigern. Denn wer plant, die Großstadt zu verlassen, will genau wissen, wo die Vorteile in seinem künftigen Zuhause liegen. In den Zentren wird die Durchmischung wichtiger werden – von Arbeit, Gastronomie und Kultur. Für die Außengastronomie mehr Platz zu schaffen, wie es Hersbruck vergangenen Sommer gemacht hat, ist ein gutes Beispiel dafür, um das Verweilen in der Stadt zu verlängern. Großstadtbewohner sind außerdem mehr Angebot gewohnt – als ich aus Nürnberg zurück nach Hersbruck gezogen bin, habe ich zum Beispiel das Frühschwimmen vermisst. Auch hier gilt also die Frage: Was haben wir schon und was lässt sich daraus machen?
In diesem Zusammenhang hört man immer wieder von der „15-Minuten-Stadt“.
Richtig. Es geht auf das Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ zurück, das die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo für Paris umsetzen will und dadurch berühmt gemacht hat. Nach dem Leitbild sollen alle wichtigen Anlaufstellen für die Bürger innerhalb von zirka 15 Minuten erreichbar sein. In Hersbruck gibt es das meiner Meinung nach schon lange, es wird nur zu wenig kommuniziert.
Auch der Online-Handel wird gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen. Worauf hat das aus städtebaulicher Sicht Einfluss?
In erster Linie auf die Netto-Verkaufsflächen. Es lässt sich ausrechnen, wie viel Umsatz jeder Quadratmeter eines Geschäfts generieren muss, damit es tragfähig ist. Durch den starken Onlinehandel wird also die Ladenfläche vor Ort, die sich wirklich rentiert, geringer. Und daraus folgen Leerstände. Um die zu vermeiden, gilt es, Flächen anders zu steuern und Räume neu zu nutzen. In Hersbruck ist das nicht einfach, weil wir eine sogenannte Netzstruktur haben: Es führen mehrere Wege ins Stadtzentrum – vom Plärrer, vom Bahnhof, vom ehemaligen Bauhof und von der Sartorius-Insel. Alle Wege belebt zu halten ist schwierig. Außerdem liegen die großen Frequenzbringer, wie das Finanzamt oder das AOK-Bildungszentrum, relativ weit außerhalb. Hier könnte man zum Beispiel Fahrradverleihstationen testen, um die Leute dort zu einem Stadtbummel zu animieren. Allgemein wird der Trend hin zur Nutzungsmischung gehen: Gastro, Kultur oder Zwischennutzungen. Im Endeffekt geht es wieder um eine Steigerung des Aufenthalts in der Stadt.
Auch der Tourismus könnte sich nach der Krise ändern, der Trend zum Urlaub im eigenen Land zunehmen. Welchen Einfluss hat das auf die Infrastruktur?
In der Hotel- und Gastronomiebranche kommt es vor allem auf die Eigeninitiative der Inhaber an. Das ist ein Bereich, der sich kaum öffentlich steuern lässt. Die Städtebauförderung ist immer noch sehr zentrenorientiert, der ländliche Raum ist kaum vertreten. Das Problem wird sein, dass ja Gaststätten und Hotels auf dem Land schon vor Corona immer weniger wurden – und wie viele nach der Pandemie wieder öffnen, steht in den Sternen. Das Dormero-Hotel in Hersbruck dagegen könnte den richtigen Zeitpunkt erwischt haben – es kann jetzt in Ruhe gebaut werden und zur Eröffnung vielleicht den neuen Urlaubstrend mitnehmen.
Kann die Krise auch ein Antrieb für eine Verkehrswende sein?
Ja, es gibt Städte, die bereits im großen Stil Radstraßen ausgewiesen und den „Schwung“ der Leute mitgenommen haben, die wegen Corona keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen wollten. Auch im Nürnberger Land gibt es ja schon ein Radverkehrskonzept – jetzt kommt es auf die Umsetzung an.
Wo zeigt die Pandemie Defizite des bisherigen Städtebaus auf?
Schon vor der Krise waren die Innenentwicklung und die immer größer werdende Nachverdichtung der Innenstädte ein Thema. Corona hat die Diskussion wieder nach oben gespült: Es zeigt sich, dass es schnell eng wird in der Stadt und dass Grünflächen mitentwickelt werden müssen. Denn durch Nachverdichtung und den Klimawandel wird auch die Überhitzung in der Stadt zunehmen. Hier müssen auch mittelalterliche Strukturen, die auf zentralen Plätzen ohne Bäume auskamen, neu gedacht werden.
Welche Maßnahmen können Kommunen und Städte schon jetzt unkompliziert umsetzen?
Die Aufenthaltsqualität kann auch mit geringen Maßnahmen gesteigert werden. Auf dem Weinmarkt in Nürnberg wurden zum Beispiel einfache Holzpodeste aufgestellt, die zum Verweilen einladen. Allgemein könnten Straßen im Zentrum für den Verkehr gesperrt, Kinderspielgeräte aufgestellt oder mehr Platz für die Gastronomie geschaffen werden. Bei allem ist es außerdem wichtig, die Ideen der Bürger mitzunehmen. Auch ein Blick von außen tut gut.