Vortrag des Kulturbahnhofs

Corona als echter Stresstest

Mit Schwung, gelegentlichem Witz, aber vor allem profunden Wissen und beweglichem Geist analysierte Professor Heiner Bielefeldt die „Coronagesellschaft im Stresstest“. | Foto: U. Scharrer2021/04/Vortrag.jpg

HERSBRUCK – „Wir lernen, in der Nase zu bohren und daraus etwas Gutes zu machen!“ – mit dem augenzwinkernden Hinweis auf die Nützlichkeit von Coronatests streute Dr. Heiner Bielefeldt immer wieder kleine Absurditäten aus unserem „neuen Alltag“ in seine stringente Analyse der „Gesellschaft im Corona-Stresstest“ ein. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der momentane Ausnahmezustand auch ein solcher bleiben muss. In vielen Beispielen zeigte er die vielen kleinen Werkzeuge in unserem Rechtsstaat auf, die verhindern helfen, dass auf Dauer „normal“ bleibt, was sich erschreckenderweise manchmal schon normal anfühlt.

Dem Kulturbahnhof gelingt es in seinen digitalen Vortrags- und Diskussionsabenden immer wieder, hochkarätige Dozenten zu gewinnen. Heiner Bielefeldt studierte Philosophie, habilitierte zum Thema Menschenrechte, für das er sich sowohl akademisch als auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagiert. Er unterrichtete in Deutschland und Kanada und ist durch seinen Lehrstuhl für Menschenrechtspolitik an der FAU Erlangen auch nahe am Lebensgefühl der Studenten. Durch sein Amt als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit erhielt er Einblick in die Lage auf der ganzen Welt. Für die Kuba-Veranstaltung referierte er direkt in die Wohnzimmer der etwa 40 Teilnehmenden: nahbar, gut aufgelegt und spürbar voller Begeisterung für sein Thema.

Das hieß ursprünglich „Auf dem Weg zur Postcoronagesellschaft“, ein Veranstaltungstitel, den die Entwicklungen ad absurdum geführt haben. Nun wagte Heiner Bielefeldt eben einen Blick auf die „Gesellschaft im Corona-Stresstest“ aus menschenrechtlicher Perspektive.

Viele Fragen

Sein Auftaktvortrag für die Diskussion streifte die Pandemie als Herausforderung für die weltweite, die europäische und die deutsche Solidarität. Er fragt: Wie werden Impfstoffe verteilt? Wie kann verhindert werden, dass vulnerable Gruppen wie Geflüchtete im Tagesgeschehen untergehen? Wie kann mit den Rückschlägen für internationale Entwicklungsziele umgegangen werden? Wie verhindert man drohende Insolvenzen, die Verschärfung sozialer Ungleichheit und die Verkümmerung sozialen Lebens?

Diese Fragen, Begleiterscheinungen der Maßnahmen gegen die Pandemie, bringen die Menschen auf. Wie auch die Eingriffe in die Grundrechte: Handlungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, freie Berufsausübung, Religionsfreiheit und Reisefreiheit sind derzeit beschnitten.

Aber spricht das gegen die Demokratie als Staatsform? Ganz im Gegenteil, betont Bielefeldt und zählt die rechtlichen Kriterien auf, die gegeben sein müssen, damit Einschränkungen und Eingriffe in die Grundrechte überhaupt durchführbar sind.

Prognosen: schwierig

Die Holprigkeit und das Prinzip „zwei Schritte vorwärts und einer zurück“, die viele Menschen bei den derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 als so ärgerlich empfinden, führt Bielefeldt genau darauf zurück: eine ständig neue Situation, in der schwer Prognosen zu treffen sind. Das lässt die Politiker Maßnahmen ankündigen, die den hohen Standards von Erforderlichkeit und Angemessenheit dann doch nicht genügen und von den Gerichten wieder gekippt werden. Das sollte laut Bielefeldt eigentlich Vertrauen in unseren Rechtsstaat generieren, den er im Stresstest, aber keinesfalls am Ende sieht.

Kritische Aufmerksamkeit, kritisches Vertrauen und die Bereitschaft dazu, sich als Verantwortlicher selbst ernst zu nehmen, sieht Heiner Bielefeldt als geeignete Werkzeuge für eine Pandemiephase, die uns nach Einschätzung einzelner Wissenschaftler noch viel länger beschäftigen wird als anfangs erhofft.

Wo ist der Lerneffekt?

In der Diskussion, die von Anfang an lebhaft und sehr diszipliniert geführt wurde, klangen sehr spezifische Ängste und Ärgernisse an: „Was macht die Pandemie mit den Kindern? Wie können wir den Verlust der menschlichen Nähe im Trauerfall auffangen? Werden wir das Infektionsschutzgesetz auch wieder los? Wie schleichen sich ungute Verschiebungen über die Sprache ins Denken?“

Schon bald allerdings mischte sich Tatendrang in die Resignation: „Wie kann ich die Demokratie nähren? Wie kann ich Verschwörungstheoretikern im Gespräch Paroli bieten? Welche Pflichten kann ich als Bürger wahrnehmen? Wie zeige ich Eigenverantwortung? Wie kann ich schlauer als das Virus sein? Welche Lektionen haben wir gelernt und wie können wir vorwärts gehen?“

Heiner Bielefeldt machte am Ende noch einmal Mut: „Demokratie ist ein verdammt starkes Produkt!“ Mit Enthusiasmus und Selbstbewusstsein kann sie genährt und mit Leben gefüllt werden. Dann kann am Ende mehr herauskommen als das von einer Teilnehmerin zum neuen Scrabble-Wort erklärten Begriff: „Freiheitsverträglichkeitsprüfprinzipien“.

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