NÜRNBERGER LAND. „Wenn wir jetzt nicht konsequent reagieren, dann haben wir bald extreme Sorgen“: Mit diesen Worten hat Ministerpräsident Markus Söder den Lockdown gerechtfertigt. Doch während im Freistaat etwa in Form einer Ausgangssperre hart durchgegriffen wird, ist das Handeln der Politik ausgerechnet dort, wo die Infektionszahlen stark steigen und es viele Tote gibt, weniger konsequent. Viele Altenheime fühlen sich im Stich gelassen. Sie wollen weiterhin Besuche von Angehörigen ermöglichen, nicht wie im Frühjahr ihre Türen schließen – aber der dafür nötige Testaufwand bringt sie an ihre Grenzen. Nach Weihnachten könnte es die Quittung dafür geben, auch wenn nun kurzfristig das Rote Kreuz (BRK) und andere Hilfsorganisationen einspringen.
Die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) schreibt vor, dass das Personal im Pflegebereich zweimal wöchentlich auf eine Coronavirus-Infektion getestet wird. Die Einrichtungen „sollen die erforderlichen Testungen organisieren“. Wer einen Bewohner besuchen möchte, der muss entweder einen PCR-Test vorweisen, der höchstens drei Tage zuvor durchgeführt wurde, oder einen der neuen Antigen-Schnelltests. Dieser darf höchstens 48 Stunden alt sein.
1000 Tests pro Monat
Für Kristine Lütke, Geschäftsführerin des Altenheims „bei St. Otto“ in Lauf, heißt das: testen, testen, testen. Etwa 1000 Antigentests braucht sie im Monat, für ihre etwa 50 Mitarbeiter, für die 60 Bewohner und auch für Angehörige, die sich „bei St. Otto“ direkt testen lassen können – zumindest, wenn sie zuvor einen Besuchstermin vereinbart haben. Eine Fachkraft hat Lütke nur für diese Aufgabe abgestellt, „das ist auch eine Vollzeitstelle, die ich nicht in der Bewohnerversorgung habe, und das in der momentanen Situation“, so die Geschäftsführerin. Sie ist ganz offen: „Wir kommen nicht mehr zu unserer eigentlichen Arbeit. Wie wir das stemmen sollen, danach fragt kein Mensch.“
Der große Aufwand hängt auch mit den hohen bürokratischen Anforderungen zusammen. „Erst jetzt haben wir wieder neue Vorlagen bekommen. Angehörige, die bei uns getestet wurden, haben Anspruch auf eine Bescheinigung“, sagt Lütke. Die Heime müssen obendrein für die Beschaffung der Antigentests in Vorleistung gehen. Alleine „bei St. Otto“ sind seit Anfang November auf diese Weise nach eigenen Angaben 15 000 Euro an Kosten aufgelaufen. Eine Erstattung, sagt Lütke, die für die FDP im Kreistag sitzt, sei angekündigt. Aber: „Ein aktuelles Formular für den Erstattungsanspruch? Fehlanzeige.“
Es gibt Einrichtungen, die aus all diesen Gründen selbst keine Tests anbieten. Das Caritas-Heim St. Michael in Röthenbach gehört dazu. „Ich brauche mein Personal für die Pflege, dort gehört es hin“, sagt Einrichtungsleiterin Ute Streng. Sie sieht auch rechtliche Probleme: „Es stellt sich die Haftungsfrage.“ Für gängige Antigentests wie jenen des Herstellers Roche ist ein Abstrich erforderlich, nicht anders als bei der PCR-Methode. Streng: „Was ist, wenn ich dabei jemanden verletze?“ Zwar können laut Robert-Koch-Institut Schnelltests explizit auch „von der Einrichtung selbst durchgeführt werden“, doch dafür darf nur „eingewiesenes Personal unter Anwendung der erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen“ eingesetzt werden.
Derzeit hilft das Rote Kreuz in St. Michael aus, zweimal pro Woche kommt es für zwei Stunden vorbei, aber diese Kapazität reicht aktuell nicht, um neben über 100 Mitarbeitern auch Angehörige testen zu können. Das bedeutet: Diese müssen zuerst zu einem Arzt oder in eines der beiden Testzentren des Landkreises Nürnberger Land in Hersbruck oder Altdorf. Erst wenn ein schriftliches Ergebnis vorliegt, dürfen sie Oma oder Opa besuchen.
Besuchsverbot durch die Hintertür?
Und hier fangen die Probleme an, wie Heinz Maier aus Röthenbach schildert, einer der betroffenen Angehörigen. Er will seine 95-jährige Mutter besuchen – doch wie lange man auf ein Testergebnis warten muss, das konnte ihm Mitte der Woche das Gesundheitsamt auf Nachfrage nicht beantworten. „Das nützt also überhaupt nichts“, sagt Maier. Er spricht von einem „Besuchsverbot durch die Hintertür, weil keine Tests vor Ort gemacht werden“. Ute Streng kennt solche Beschwerden gut. „Den Terz haben die Einrichtungsleitungen“, sagt sie. Maier wiederum hat für ihre Position Verständnis: „Es wird auf die Pflegeheime abgewälzt. Die Politik verspricht zu viel und handelt zu wenig.“
Vor Weihnachten, könnte sich die Lage noch verschärfen. Dafür dürfte auch eine paradoxe Regelung sorgen: Zwar brauchen Angehörige einen negativen Test und eine FFP2-Maske, wenn sie in ein Heim möchten, aber ihre Verwandten können sie von dort auch einfach abholen und über die Feiertage mit zu sich nach Hause nehmen. Ein Test ist nicht nötig. „Da gibt es keine Logik“, sagt Streng. Sie appelliert deshalb an alle, die Bewohner lieber im Heim zu lassen.
Michael Strauß vom Laufer Hermann-Keßler-Stift ist in diesem Punkt schonungslos ehrlich: „Am liebsten würde ich Abholungen verbieten. Aber natürlich darf ich das nicht. Nur ist das Risiko dabei schon grenzwertig hoch.“ Und so bleibt ihm ebenfalls nur ein Appell: „Ein Besuch ist aus Gründen des Infektionsschutzes einer Abholung grundsätzlich vorzuziehen“, empfiehlt der Einrichtungsleiter, „und die Menge an Besuchen darf in der Pandemiephase sicher auch etwas reduziert werden“.
Strauß befürchtet, dass die Infektionszahlen nach dem Fest in die Höhe schnellen: „An Weihnachten läuft alles auf der Gefühlsebene. Wir reden noch nicht einmal über Absicht, aber da gibt es Fahrlässigkeiten, da werden die Abstände schnell nicht eingehalten.“ Um für mehr Sicherheit zu sorgen, bietet das Keßler-Stift deshalb auch Antigentests für Angehörige an, am 21. und am 23. Dezember und jeweils nach Terminvereinbarung. Das reicht für die Feiertage: Die BayIfSMV macht eine Ausnahme und lässt zwischen 25. und 27. Dezember auch drei beziehungsweise vier Tage alte Tests zu, je nach Methode.
Freistaat kündigt Testaktion an
„Keine Bewohnerin und kein Bewohner in den Alten- und Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen in Bayern muss alleine ohne seine Angehörigen Weihnachten feiern!“, hat das Gesundheitsministerium indes am Donnerstag verkündet und eine kostenlose Weihnachtstestaktion in Aussicht gestellt. Damit soll auch Einrichtungen wie St. Michael in Röthenbach geholfen werden. Ehrenamtliche von BRK und anderen Hilfsorganisationen werden, so das Ministerium, bayernweit die Testkapazitäten aufstocken. Das soll entweder direkt vor Ort in den Heimen oder an zentralen Stellen geschehen.
Als die Pegnitz-Zeitung vergangene Woche erstmals über entsprechende Verhandlungen berichtet hat, erfuhren BRK und ASB im Nürnberger Land davon laut eigener Aussage aus den Medien. Inzwischen gibt es zumindest beim BRK nach PZ-Informationen bereits Pläne für den Einsatz von Ehrenamtlichen.
Als einmalige Sache, findet Streng vom Caritas-Altenheim, sei das sicher sinnvoll. „Aber die Ehrenamtlichen können das auf Dauer nicht leisten. Warum stellt man nicht die Bundeswehr vor die Altenheime?“, so die Einrichtungsleiterin.
Zentrale Beschaffung läuft
Das Bayerische Gesundheitsministerium bittet auf Anfrage „um Verständnis, dass wir uns zu konkreten Einzelfällen nicht äußern können“. Die Abrechnung der Tests sei Sache der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, zum Verfahren könne deshalb „keine Auskunft erteilt werden“. Der Freistaat habe zentral bislang rund 16 Millionen Antigen-Schnelltests beschafft und verteile diese an die Kreisverwaltungsbehörden, die sie wiederum an die Einrichtungen weitergeben sollen.
Mit zentraler Beschaffung hat Streng bereits Erfahrungen aus dem Frühjahr. 1000 Masken, erinnert sie sich, habe sie benötigt – „es kamen zehn Stück“.