Geistlicher Abend ging ohne Störungen über die Bühne

„Kluge und differenzierte Worte als Einstieg zum Dialog“

Der Referent des „Geistlichen Abends des Dekanats Altdorf“, Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland mit Dekan Jörg Breu und Regionalbischof Dr. Stefan Ark Nitsche. | Foto: Märtl2016/11/altdorf_refo_1.jpg

ALTDORF – „Unser Glaube an den einen Gott verpflichtet“, betonte Dekan Jörg Breu zu Beginn des diesjährigen Reformationsgottesdienstes in der bis auf den letzten Platz gefüllten Laurentiuskirche. „Ich freue mich, dass es so viele geworden und mehr gekommen sind als erwartet“, sagte Breu, dem die Anspannung ob der Diskussionen und Auseinandersetzungen im Vorfeld des Reformationstages deutlich anzumerken waren. Besonders herzlich hieß er Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland willkommen. Wie auch beim Geschehen im Vorfeld auf dem Marktplatz (wir berichteten), herrschte auch in der Kirche großes Medieninteresse.

Beim Glaubensbekenntnis verwies Breu darauf, dass darin deutlich werde, „was wir miteinander bekennen und wo christliches Bekenntnis sich unterscheidet vom jüdischen und vom moslemischen. Gemeinsam ist uns der Glaube an Gott den Schöpfer, an die Vergebung der Sünden und die Auferstehung. Anfang und Ende laufen also wieder zusammen.“

In seiner Ansprache erinnerte er an den Thesenanschlag Luthers vor 499 Jahren. Mit den Thesen, die kompliziert und auf Latein waren wollte Luther einen wissenschaftlichen Dialog führen. Er habe keine Kirchenspaltung und keinen Krieg gewollt.

Von Ereignissen mitgerissen

Die Ereignisse aber hätten Luther mitgerissen in ein weltweites Geschehen, an dessen heutigem Punkt in der Geschichte man gerade beginne die Kirchenspaltung zu überwinden. Luthers große Erkenntnis, war, so Breu: „Der Mensch wird eben nicht gerecht durch Leistungen, die er etwa kaufen kann, der Mensch wird gerecht in dem er Gott, Gott sein lässt, sich Gott anvertraut, an Gott glaubt und daran: Gott vergibt mir.“

In einer Zuschrift, die er im Vorfeld erhalten habe, stand der anklagende Satz: „Wissen sie nicht, dass die Moslems Abraham zum ersten Moslem erklären, der gemeinsam mit seinem Sohn Ismail die ersten Heiligtümer des Islam gebaut hat.“

Er habe es gewusst und wisse auch, dass Paulus im neuen Testament, sich ebenso auf Abraham beruft, wie der Koran es tut. „Unser Glaube an den einen Gott verpflichtet.

Religionen sind Verwandte

Dass der Glaube an den einen Gott verpflichte sei für ihn immer im Zentrum seines Glaubens gestanden. „Judentum, Christentum und der Islam die sogenannten abrahamitischen Religionen sind Verwandte – die sich im Bewusstsein, verwandt miteinander zu sein, auseinandergelebt haben.
Aber das macht sie nicht zu Feinden, eher zu voneinander entfremdenden Familienmitgliedern“, betonte Breu.

Ob er nicht wisse, dass der Koran zum Krieg aufrufe, sei er von Kritikern gefragt worden? Er habe mit einem Zitat aus der Bibel geantwortet und darauf verwiesen, dass es Aufrufe zu Krieg und zum Töten auch in den heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islams gebe.

Die Frage sei doch nicht, ob es da steht, sondern was bedeutet das denn jetzt, dass das da steht? Breu: „Und genau da müssen Bildung und Dialog ansetzen.“ Studien würden zeigen, dass religiöse Toleranz und Friedensliebe mit der Kenntnis der eigenen Religion zunehmen. Also sei es doch unverzichtbar, dieses Wissen zu vermitteln, „denn Angst und Intoleranz speisen sich oft aus falscher Information.“

Miteinander vor Gott führe nicht zum Hass, sondern zum gegenseitigen Respekt. „Dieses Miteinander und Nebeneinander der Religionen sehne ich herbei.“ Abraham habe an Gott geglaubt und Gott habe es ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. Auch ich möchte Gott glauben und vertrauen. Und Gott will Frieden schalom salam.“

Geistlicher Abend

Musikalisch feierlich umrahmt wurde der Gottesdienst vom Bezirksposaunenchor unter Leitung von Edith Hechtel und Kantorin Almut Peiffer an der Orgel, die auch für das Zwischenspiel sorgte zum anschließenden „Geistlichen Abend“ mit dem Vortrag von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zantralrats der Muslime in Deutschland zum Thema „Christen und Muslime, gemeinsam für Barmherzigkeit und Nächstenliebe – Was ich mir von Christen erhoffe.“

Nur wenige Gottesdienstbesucher nutzten die Pause, um die Kirche zu verlassen, zu groß war das Interesse an den mit Spannung erwarteten Ausführungen.

Synodalpräsidentin Angela Reither machte in ihrer Begrüßung deutlich, dass den Kindern in der Schule ein „Miteinander“ statt ein „Nebeneinander“ und ein „respektvoller Umgang für ein friedliches Miteinander“ vermittelt werde.
Unter den vielen Gästen begrüßte sie Staatssekretär a.D. Hans-Georg Hauser, Landrat Armin Kroder, Bürgermeister Erich Odörfer, MdL Alexandra Hiersemann, Stadt- und Kreisräte, Polizeichef Reimund Mihatsch, Regionalbischof Dr. Stefan Ark Nitsche, Pfarrer Albert Börschlein, Rektor Dr. Günther Breitenbach von den Rummelsberger Anstalten, Imam Gökhan Korkmaz und seine Begleiter von der türkisch-islamischen Gemeinde Altdorf, die anwesenden Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone und Religionspädagogen und Religionspädagoginnen, sowie Caritas-Ehrenvorsitzende Angela Henke.

Wichtige Friedenserfahrung

Dem Referenten, den sie dann kurz vorstellte, dankte sie, dass er sich habe einladen lassen. Der hegte eingangs die Hoffnung, dass der heutige Tag ganz in der Tradition der ehemaligen Universitätskirche „für uns Wissenserweiterung und ebenso wichtige Friedenserfahrung“ sein werde.

Der Islam bedeute Frieden, und der Muslim sei angehalten, mit Gott, seinen Mitmenschen und sich selber in Frieden zu leben. Die Verschiedenartigkeit und bunte Vielfalt der Menschen sehe der Islam als ein Zeichen Gottes.
Er machte deutlich, dass der Koran die Muslime verpflichte, mit den Andersgläubigen den Dialog auf beste Art und Weise zu führen
Die Thora, das Evangelium, die humanistische Tradition und der Koran würden alle von der Würde jedes Menschen sprechen, die es zu achten und zu verteidigen gelte.

Werte der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit, der Gerechtigkeit und Menschenrechte müssten stets aufs Neue erkämpft und verteidigt werden. Mazyek: „Das Virus menschlicher Zerstörungswut müssen wir zurückdrängen, ob im Gewande des Rassismus, des religiösen Extremismus oder politischen Fundamentalismus. Und besonders wir Muslime haben ein vitales Interesse, dem religiösen Extremismus entgegenzutreten. Was wir brauchen, sind Menschen, die Zuversicht, Barmherzigkeit, Solidarität und Nächstenliebe verbreiten und leben. Jene Nicht-Selbstgefälligen, die versuchen, der Welt ein wenig mehr Frieden zu geben. Gott, lass mich ein radikaler Gutmensch sein – ja, ich weiß, das ist der echte Dschihad, nicht der heilige Krieg, nicht das Töten Unschuldiger.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, habe angesichts des bevorstehenden Reformationsjahres und des Dialogs mit den Muslimen etwas Bemerkenswertes gesagt: „Eine Grundlage für den interreligiösen Dialog besteht darin, die jeweils anderen nicht an ihren schwächsten Ausprägungen zu messen, sondern die Stärken zu sehen.“

Appell an Parteien

Er appellierte an die etablierten Parteien, insbesondere an die konservativen und ganz besonders an die CSU in Bayern vor den Wahlen nicht die Nerven zu verlieren und so manch gefährliche rechtspopulistische Parole im Gewande von Sündenbockdiskussionen und Abwertungen anderer Minderheiten oder Andersartigen zu kopieren. Das Konzept gehe nicht auf. „Setzen sie sich mit den Rechten handfest und klar auseinander und verzichten sie vollständig auf die Taktik: Kopieren oder Ignorieren.“

Sonst werde sträflich übersehen, dass die strukturelle und alltägliche Diskriminierung und Feindseligkeiten gegenüber den Muslimen bereits jetzt Realität sei. Sie werde in Teilen durch die gegenwärtige Diskussion noch schlimmer. Seine Forderung: „Die Vorbehaltsdiskussion gegenüber den Muslimen muss ein Ende nehmen. Wir sind Deutsche, deutsche Muslime und dies nicht nur auf Bewährung.“

Angesichts der gegenwärtigen muslimischen Verfassung dürfe man nicht den Mut verlieren, bestimmte Fehlentwicklungen beim Namen zu nennen. „Wir fürchten da keine Weltgerichte irgendwelcher Terroristen– auch wenn diese noch so inbrünstig den Namen Gottes missbrauchen.“

Angesichts des unendlichen Leids, das diese Terroristen über unzählige Menschen gebracht hätten, müsse man sich fragen: „Warum verüben manche Muslime solche abscheulichen Taten? Und warum tun sie so, als seien Juden und Christen die eingeschworenen Feinde des Islam?“

Mehr denn je brauche man heute die Stimmen aller Religionsgemeinschaften, der Kirchen, der Christinnen und Christen, Jüdinnen und Juden ja, aller Menschen guten Willens mit humanistischer Gestaltungskraft, die die Stimme der Solidarität, des Füreinandereinstehens, des Mitgefühls für den Fremden und für den Nachbarn erheben.

Deutsche Leitkultur

Keinen Zweifel ließ er daran, dass es so etwas wie eine deutsche Leitkultur gibt. „Ich denke dabei an die Werte des Grundgesetzes, an unser Land der Dichter und Denker. An Kant, Goethe und Schiller, an die jüdischen Dichter Heinrich Heine und Kurt Tucholsky und den muslimischen Friedenspreisträger Navid Kermani. Ich denke an „Made in Germany“, das Wirtschaftswunder in den Sechzigerjahren, das ohne die Türken auch nicht zustande gekommen wäre, an Wissenschaft und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, an Ordnung und Regeln, aber eben auch an die Lehren aus der Shoa. Dies alles gehört für mich zur Leitkultur. Und von mir aus auch Halal-Würstchen und Oktoberfest.“

Mazyek schloss seine mit viel Beifall bedachten Ausführungen mit einem Gebet in dem er Allah „um Beistand hier in der Laurentiuskirche, hier in Altdorf mit all den lieben Menschen in und außerhalb der Kirche“ bat. „Hilf uns in diesen Zeiten unsere Menschlichkeit nicht zu verlieren und die Ehre und Würde aller Menschen nicht zu beschädigen. Lass uns denen zurufen, die das dennoch tun: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Oh Herr, lieber Gott, Oh Allah, Adonai: Beschütze Altdorf und ihre Bewohner. Beschütze unser Deutschland und bewahre es davor in einen Strudel der Gewalt, der Verachtung und Intoleranz zu geraten. Gib den Juden, den Christen, den Muslimen, gib allen Menschen guten Willens, Versorge und gewähre ihnen inneren Frieden und lass ihnen Zuflucht suchen vor dem Verderben des Hasses, des Egoismus und Vergessens der eigenen Seele Ursprunges. Wahrlich, wir gehören Gott und zu Ihm kehren wir zurück – Amen.“

„Es hat sich gelohnt Sie einzuladen“, resümierte Dekan Breu und Regionalbischaf Dr. Stefan Ark Nitsche forderte dazu auf im Dialog nicht auf die Schwachen, sondern auf die Starken zu schauen. „Ich habe heute Strakes gehört.“

Und auf seine Frage, wie der Dialog weitergehen könne, antwortete Aiman Mazyek, dass die gemeinsame Stellschraube die Friedensarbeit sei. Eine große Kraft gehe von der Nächstenliebe aus. „Wir haben das Credo der Barmherzigkeit und der Solidarität und das wünsche ich mir von Muslimen, Christen und Juden.“

Beim anschließenden Empfang zeigte sich Dekan Breu erleichtert darüber, dass der Abend ohne jeglichen Zwischenfall verlaufen sei. Und er stellte fest, dass man mit der Einladung Mazyeks trotz aller Kritik die richtige Entscheidung getroffen habe.

Mazyek bestätigte er „kluge und differenzierte Worte“. Genau die brauche man zum Einstieg in den Dialog, den er angesichts der Vorkommnisse im Vorfeld auch weiter mit den Verantwortlichen suchen werde.

Aiman Mazyeks Rede können Sie im vollen Wortlaut unter http://www.zentralrat.de/28137.php nachlesen.

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