Wie meistern Politiker Mehrfachbelastungen?

„Als Abgeordneter ist man immer im Dienst“

Immer im Fokus der Öffentlichkeit, immer unter Zeitdruck: 60 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche sind für Politiker (unser Foto zeigt dem Empfang für Horst Seehofer in Schnaittach vergangenes Jahr) der Regelfall | Foto: Braun2013/01/57289_csuschnaittempfangseehoferbrkameramann_New_1358870764.jpg

NÜRNBERGER LAND — Ein anspruchsvoller Beruf, Familie, Ehrenämter – und dann noch Politik? Kann das funktionieren? Nein, hat der Nürnberger CSU-Landtagskandidat Tobias Schmidt (37) für sich entschieden und vorgestern überraschend das Handtuch geworfen (die PZ berichtete im Mantelteil). Doch wie gehen andere Politiker mit der Mehrfachbelastung um? Die PZ hat nachgefragt.

„Stunden zähle ich schon lange nicht mehr. Als Landtagsabgeordneter ist man immer im Dienst“, meint Kurt Eckstein und lacht dabei ein bisschen gequält. Er muss es wissen, schließlich sitzt er seit 1990 für die CSU im Maximilianeum. Dienstag bis Donnerstag stehen in München Sitzungen auf dem Plan, freitags hat Eckstein in der Regel „Bürotag“ in seinem Wahlkreis und die Montage sind für Gespräche mit Behörden reserviert. Die Wochenenden verbringt er dann meist bei Vereinsfeiern, Empfängen oder Kirchweihen im Nürnberger Land, ist dort Ansprechpartner. „Die Leute, die ein Anliegen haben, halten sich nicht an Arbeitszeiten, das ist einfach so“, sagt er. Punkt.

All das funktioniere nur mit Unterstützung und Verständnis der Familie. Gerade am Anfang sei es schwierig gewesen, erinnert sich der dreifache Familienvater. Sein Sohn, damals gerade neun Jahre alt, beklagte sich eines Tages: „Diese Woche habe ich dich öfter in der Zeitung gesehen als zu Hause.“ Seinen Beruf als Landwirt musste Eckstein an den Nagel hängen. Der Verkauf der Milchkühe und der Äcker habe in der Familie für große Diskussionen gesorgt.

Auch heute findet bei Ecksteins Privatleben aus Zeitmangel so gut wie nicht statt. „Wenn ich privat wohin gehe, dann höchstens zu einer Geburtstagsfeier oder einer Hochzeit im Familienkreis“, meint der CSU-Mann, der bei der Landtagswahl im Herbst nicht mehr antritt. Doch spätestens seit seiner überstandenen Krebserkrankung vor einigen Jahren, bei der Eckstein seine Amtsgeschäfte über Monate ruhen lassen musste, sieht der 65-Jährige die Dinge gelassener: „Die Welt dreht sich weiter, auch wenn der Eckstein nicht dabei ist.“

Mehr Pausen: Das hat sich auch Ecksteins SPD-Kollege im Landtag, Thomas Beyer, vorgenommen. Nach Herzproblemen im letzten Herbst will der 49-Jährige künftig im Alltag „Zeitfenster“ für sich selbst einplanen und baut dabei vor allem auf die ruhigeren Phasen im Februar und November. Aber auch er weiß: „60 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche sind der Normalfall.“ Denn Beyer ist nicht nur Landtagsabgeordneter, sondern seit 2003 zusätzlich Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt. Auch wenn sich beide Tätigkeiten oft ergänzen: „Das Ehrenamt ist ein Halbtagsjob“, sagt Beyer. In seinem eigentlichen Beruf als Anwalt kann er daher nur noch sehr eingeschränkt tätig sein.

Spontan zum Skifahren oder mit seiner Frau ins Konzert? Das sei nicht drin, meint Beyer nüchtern, denn auch die Wochenenden sind verplant – manchmal sogar mehr als ein Jahr im Voraus. „Die gehören den Menschen im Wahlkreis, und die dürfen das auch erwarten“, betont der SPD-Abgeordnete, der Tobias Schmidts Entscheidung gegen die Landtagskarriere nachvollziehen kann. „Mit kleinen Kindern ist das schwer machbar.“

Einen 60-Stunden-Job, den hat Michael Groß schon jetzt. Und obendrauf soll künftig noch politisches Engagement kommen, denn der Geschäftsführer der Caritas im Nürnberger Land will im Herbst für die SPD in den Bezirkstag einziehen. „Ich könnte das nicht, wenn die Arbeit dort inhaltlich völlig neu für mich wäre“, räumt der Röthenbacher ein. Doch beruflich sei er schon jetzt permanent mit der Bezirkspolitik befasst, die direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Sozialverbände im Landkreis habe.

Was Partei-Engagement im Alltag bedeutet, das bekommt der „Genosse“ bereits jetzt hautnah zu spüren. „Ich habe letzte Woche jede freie Minute für die SPD verwendet. Natürlich kann ich mich nicht so weit verbiegen, dass meine Gesundheit dabei kaputt geht“, sagt der 43-Jährige. Eine Gratwanderung, denn schließlich steckt der Politik-Neuling voller Tatendrang, will keinesfalls „flügellahm“ erscheinen. „Mein Motiv heißt: kämpfen. Ich habe die Ungerechtigkeiten in der Welt, sei es auf dem sozialen oder umweltpolitischen Sektor, einfach satt.“ Ein Rückzieher á la Schmidt kommt daher für ihn nicht in Frage. „Allerdings werde ich ein intelligentes Zeitmanagement brauchen.“ Die Zeit für seine drei Kinder will sich der geschiedene Familienvater auf jeden Fall weiterhin nehmen.

Norbert Dünkel ist Stellvertreter des Bezirkstagspräsidenten, Geschäftsführer der Lebenshilfe Nürnberger Land und will im Herbst Kurt Ecksteins Nachfolger im Landtag werden. Mit etwa vier Veranstaltungen sind seine Wochenenden und damit auch die seiner Frau Ellen oft ausgebucht. „Das erfordert ein hohes Maß an Organisation und Toleranz in Familie, Beruf und Freundeskreis.“ Einen Punkt, an dem er alles hinwerfen wollte, hatte er noch nicht. „Es ist auch erlaubt, mal eine Einladung abzusagen.“ Als Knochenjob will er sein Politikerleben nicht sehen: „Ich bin jetzt seit 18 Jahren im Bezirkstag und mache das gern. Ich habe mich für diesen Weg entschieden.“

Stefanie Buchner-Freiberger/
Susanne Will

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