Krimipreis-Träger präsentiert neuen Ermittler am PPG

Autor Friedrich Ani kommt nach Hersbruck

Friedrich Ani präsentiert seinen neuen Ermittler im Paul-Pfinzing-Gymnasium. Foto: Volker Stephan2015/11/ATT02979.jpg

HERSBRUCK – Krimipreis-Träger Friedrich Ani präsentiert beim neuen Verlag einen neuen Ermittler. Und rettet damit seine berühmte Figur Tabor Süden vor dem Suff. Live zu erleben ist der Ausnahme-Autor bei seiner Lesung im Paul-Pfinzing-Gymnasium am Dienstag, 24. November, um 19.30 Uhr.

Er wird laut, lallt, läuft förmlich über. „Obacht, ja? Sonst hau ich Ihnen dermaßen oane in die Fr…“ Dann leiser. Trunkenheit wird Melancholie, wird akustisches Rinnsal. Friedrich Ani und der Alkohol: eine widersprüchliche Beziehung, im literarischen Sinn. Der preisgekrönte Münchener Autor mit syrisch-schlesischen Wurzeln greift in Werken und Lesungen ab und an zum Alkohol. Weidet dessen benebelnde Wirkung aus, hadert mit ihr. Aus dieser Art Hass-Liebe erklärt sich erst Anis Neuerscheinung Der namenlose Tag. Der Tag gewissermaßen, an dem er seine alte Figur Tabor Süden verschwinden lässt.

Lallend in Stimmung

An einem Leseabend wie dem am 24. November in Hersbruck kommt es vor, dass der Autor sein Publikum lallend in Stimmung bringt. Wenn er etwa das Stück „Der verwirrte Trainer“ interpretiert, eine Kurzgeschichte aus Unterhaltung (2014). Wenn er zum angesäuselten Übungsleiter mutiert, der – siehe oben – derbe über die Niederlage seiner Elf fuselt, nein, faselt. Alkohol als Zungenlöser, Ani als Komödiant.
Im Interview wird er beim Thema Alkohol nachdenklich. Anis ohnehin bedachter Redefluss versiegt. Ein Schweigen, „das ich von meinem Vater geerbt habe“, das er in seinen Figuren kultiviert. Dann füllt Ani die Leere, erzählt, warum er mit dem Promille-Rausch gehadert hat. Ani wollte den Privatermittler Tabor Süden nach 19 Fällen dem Dauersuff preisgeben. „Es ist ja keine Kleinigkeit, der ich Süden ausgesetzt habe“, sagt Ani. Im letzten Band M (2013) drohte Süden im braunen bayerischen Sumpf unterzugehen. Die Detektei nach einem Anschlag von Neonazis in Trümmern, der Kollege Kreuzer tot, Süden in den Scherben seines Lebens.

Ani badete Südens Seele zunächst in Alkohol. Wie den Trainer, der durch Ani wie ein Wasserfall zu reden vermag, ließ er Tabor Süden von einer Welle hochprozentigen Gesöffs mitreißen. „Zweihundert Seiten lang sollte er betrunken sein und erst auf den letzten zehn einen Fall lösen.“ Den Kater bekam allerdings Ani. Ihm wurde übel als derlei Fluchthelfer. „Die ersten Seiten hatte ich schnell runter geschrieben“, sagt Ani. „Dann verstand ich, dass das zu einfach ist. Ich bin der Figur mehr schuldig nach all den Jahren.“ Die Schein-Lösung Alkohol führte Ani und Süden an denselben Ort: „Wir sind in einer Sackgasse.“

Einer der beiden ist noch immer dort, geistert durch das Zwischenreich der Hörspiele (zuletzt Das Verschwinden der Natalia Aschenbrenner, SWR). Der andere, Ani, ist zurück aus der Sackgasse, mit unverminderter sprachlicher Stärke. Mit psychologischer Akkuratesse. Mit Jakob Franck an der Hand. Seinen neuen Charakter navigiert Ani in Der namenlose Tag mit klarem Kopf durch das Leiden der anderen. Franck ist als Münchener Kommissar inzwischen pensioniert. Der Single ist nicht allein, denn die Toten seiner aktiven Zeit haben ihn innerlich nie verlassen. Gastfreundlich wie er ist, stellt Franck ihnen skurrilerweise Butterkekse auf den Tisch.

Eine andere Tote stört die morbiden Kaffeekränzchen. Ihr Vater Ludwig Winther will auch nach 20 Jahren nicht glauben, dass sie den Freitod wählte. Er vermutet Mord dahinter und bittet Franck um Hilfe. Der hatte damals die trauernde Mutter zu trösten versucht, mit einer seiner typischen Umarmungen, stundenlang. Vergeblich: Auch sie legte bald letzte Hand bei sich an. Um die Toten zum Reden zu bringen, muss der leicht neurotische Ex-Polizist nun erstaunliche Fähigkeiten einsetzen. Dazu zählt das durchdringende Schweigen, Ani nennt es Gedankenfühligkeit.

Action? Nicht bei Ani

Seinen neuen Roman entfaltet der Autor mit der alten Gleichgültigkeit gegenüber Pageturnern, gegenüber der Action, den Wendungen, dem Nervenkitzel. „Ich wollte ja nie Krimi-Schriftsteller werden.“ Als der Krimi in den 90ern boomte, schrieb Ani in seiner Nische über Vermisste und Suchende. Manchmal vor kriminellem Hintergrund, manchmal eben nicht. „Solange mir der Verleger ein bisschen Geld dafür gibt, passt das schon“, so der Grundgedanke damals. Bis er von Presse und Publikum, Hörspiel- und Film-Produzenten entdeckt wurde. Bis „meine Vermisstensachen“ Preise einheimsten und er zum Krimi-Autoren gestempelt wurde, alle Gedichtbände und Jugendbücher geflissentlich ignorierend.

Ani ist nie dem Mainstream verfallen, vergeudet keine Zeit für eine Dramaturgie, die keine Zeit für Fragen, für das große Schweigen lässt. An Tabor Südens letzter Ausfahrt Alkohol hat er im rechten Augenblick vorbei geschrieben und Jakob Franck gefunden. Zweifel bleiben. „Vielleicht nehmen die Leser es mir übel, dass ich Süden einfach deaktiviere“, sagt Ani. Ist eigentlich schon eine Vermisstenanzeige eingegangen?

Volker Stephan

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